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21./22.06.2014
4. Andorra
Trail Andorra mit seinen 85.000 Einwohnern und 468
m2 km Fläche hat keinen eigentlichen Marathon, weil ja fast
nur Berge, nämlich die Pyrenäen, zwischen Frankreich und
Spanien, vorhanden sind. Und um hier zu laufen, sollte man aber
schon mal Berge "gesehen" haben
Mein Sportfreund
Klaus Westphal aus Frankfurt a. M. (im Foto
links neben mir) lies mich wissen, dass er den Andorra Trail laufen
will. Ich sagte: "Ich bin dabei". Leicht und locker schaute
ich ein paar Tage vor dem Start in die Ausschreibung des Laufes.
Was war das? Hier steht was von obligatorisch, also pflichtgemäß,
sind mitzunehmen: Rucksack, Kopflampe mit Ersatzbatterien, Rettungsdecke,
Pfeife, Regenjacke, Kopfschutz, Wasserreserve, Essenreserve, Handschuhe,
Elastikbinde, Langes Oberteil, lange Zusatzhosen, wasserdichte Hosen,
Handy. Empfohlen wurde noch mitzunehmen: Plastebecher, Skistöcke,
separate Kopflampe mit Ersatzbatterien, Sonnencreme, Kopie Reisepass
und dann alles in Plastetüten verpackt
Das ist unglaublich.
Dazu brauche ich ja einen Träger. Ich hatte von den Dingen
überhaupt nichts parat. Wozu brauche ich das alles? Ich sah
mir ein paar Videos über den Trail an: Schnee, Eis, Kälte,
Berge runter, Berge hoch
auf was hatte ich mich hier eingelassen?
Was für ein Greenhorn war ich, mal so hier einen Marathon laufen
zu wollen?
Es
gab verschiedene Varianten und Strecken, diesen Trail zu bewältigen.
Die "einfachste" Strecke war der 35 km Trail, dann gab
es noch Strecken über 78 km (Celestrail), 118 km (Ultra Mitic)
und 184 km (Ronda dels Cims). Ich hatte mich für den Ultra
Mitic mit insgesamt 8100 Höhenmetern über 118
km entschieden und wollte in Margineda bei 42 km aussteigen. Von
Kumpels sammelte ich nun die obligatorischen Pflichtutensilien,
kaufte einiges dazu, ignorierte aber die Worte von Supertroll Mirko:
"Trailschuhe brauchst du unbedingt".
In der Sächsischen Schweiz machte ich kurz eine scharfe schnelle
Probewanderung, bewacht von meinem Freund Wolfgang und meinem Cousin
Jörg und ich fühlte mich fit für dieses Abenteuer.
Am 20.06.2012 war der Abflug nach Barcelona. Klaus und seine Sportfreunde
Gerd und Judith waren schon da. Was nicht da war, war mein Koffer.
Er war nicht mit dem Flugzeug angekommen, sollte mir aber nach Andorra
nachgeschickt werden
Wir nahmen
ein Mietauto und Klaus manövrierte uns nach Andorra. Die Übernachtung
am Startort Ordino, ca. 1300m hoch gelegen, war ganz nett in unserem
"Hotel Coma".
Marathontag:
Vormittags holten wir uns im Startbereich unsere Startunterlagen.
Zum Glück wurden meine Laufsachen und Gepäck nicht kontrolliert.
Ich war voller Hoffnung, dass mein Koffer noch ankommt. Nachmittags
erhielt ich von der Hotelrezeption die Nachricht, dass mein Koffer
demnächst nicht kommt, da erst Freitags Anlieferung wäre,
Samstag und Sonntag Wochenende, Montag auch Feiertag und damit der
Koffer am Dienstag da ist. Was??? Am Dienstag wollte ich längst
zu Haus sein. Es war nun klar, der Koffer kommt nicht und ich habe
außer meiner derzeitigen Bekleidung nur noch meine Laufschuhe
aus dem Handgepäck. Für mich
war alles vorbei! Ich war demoralisiert. Klaus versuchte
nun vorsichtig, mich wieder aufzubauen. Er gab mir alles, was er
entbehren konnte, dennoch mussten wir danach u. a. noch Hose, Socken,
Stöcke, Pfeife und Rettungsdecke einkaufen. Danach war klar:
Ich werde doch starten! 21:30 Uhr standen
wir am Start. Zum Glück hatte ich den Fotoapparat
im Handgepäck gehabt, aber das Ladegerät war im Koffer,
damit hatte ich zwei ungeladene Akkus dabei.
21:55
Uhr war ein kurzes Feuerwerk und Punkt 22 Uhr war der Starschuss
zum Ultra Mitic über 112 km. Klaus und ich hatten uns noch
alles Gute gewünscht und so rannte Judith vorn mit, ich in
der Mitte des Feldes und Klaus etwas hinter mir. Die Trailstrecke
des Ultra Mitic war aber vor ein paar Tagen wegen starken Schneefalls
noch geändert worden, so dass mein geplanter Ausstieg im Ort
Margineda plötzlich bei km 37 sein sollte. Das bedeutete, dass
ich damit noch 2,5 km hoch Richtung "Coll Bou Mort" steigen
musste, dann umkehren und wieder runter rammeln, um die 42 km voll
zu machen
Es
war Nacht, ca. 10 Grad und noch klatschten viele Zuschauer.
Wir liefen 4 km anfangs über Straßen, dann über
klitschnasse Wiesen und dann ab in den Wald. Es ging hoch, höher,
mal so 800m höher. Meine Stirnlampe streifte durch den Wald,
dutzende Läufer waren vor mir, aber auch hinter mir, ich war
nicht der letzte. Einem Lindwurm gleich zog sich die Läuferkette
nach oben. Einer gab das Tempo an, die anderen stapften hinterher,
ein überholen auf diesen Pfaden war unmöglich. Nach 5km
waren wir oben auf dem 1. Gipfel, dem "Coma Aubosa", 2135
m hoch,
angekommen. Aus dem Wald rauslaufend, war hier die erste Personenkontrolle.
Wir wurden sehr oft kontrolliert. Plötzlich klagt meine Stirnlampe
(Foto), der Lichtschien war
noch ein Scheinchen, die Batterien waren runter, die waren doch
aber neu gewesen. Hier oben konnte man
wieder ordentlich laufen, aber nein, verdammt, ich begann nur noch
zu rutschen, es war schlammig, nass, kalt und so dunkel hier.
Ja es hatte die Tage vorher sehr viel geregnet. Wir blieben halbwegs
auf der Höhe.
Ich patschte
durch die vielen Bäche, meine Laufstöcke blieben im Morast
stecken, knickten, da sie zusammensteckbar waren, plötzlich
pausenlos ein. Jetzt kommen Schneefelder, ich möchte endlich
wieder mal Fotos machen. Es ist unmöglich.
Ich fliege pausenlos hin. Läuferhände helfen
mir wieder hoch, ich versuch fünf Meter zu laufen und liege
mit dem Gesicht im verharschten Schnee.
Ich
kämpfe weiter, andere Läufer überholen mich, patsch,
ich knalle wieder hin
da, die Rettung! Bei ca. km
10 ist ein toller Verpflegungs-stützpunkt: Schinken,
Käse, Rosinen, Schokolade, wie im Schlaraffenland! Und
da sehe ich auch noch zwei Engelchen
so ein Traum
(Foto) da werde ich in die Wirklichkeit
gerissen: "Wechseln sie die Batterien!" zeigt mein Fotoapparat
an. Ja klar, mach ich, denk ich. "Sorry Mädels, little
moment" und wühle mit eiskalten Händen den zweiten
Akku hervor: "Wechseln sie die Batterien!". Die Kälte
hier oben hatte meine zwei Akkus zerlegt. Es war aus. Es gibt keine
Fotos mehr, ab hier kann ich der Nachwelt nicht beweisen, was für
ein Fiasko mir noch in dieser Nacht bevorstand, verzweifelt balle
ich die Fäuste.
Ich renne das Schneefeld wieder entsprechend der Streckenmarkierung
zurück, falle wieder pausenlos hin. Es
geht einen Pfad zwischen Bäumen hindurch, ich versuch immer
einen Vordermann zu finden, der mir Licht spendet, denn mit meinen
Stirnlampen war ich hier jetzt verloren. Plötzlich eine Lichtung,
mein "Vorläufer" schnauft, was ist los? Ich schaue
an ihm vorbei nach vorn, nein nicht vorn, ich muss nach oben schauen.
So, toll, ich sehe überall Sterne
über mir, ja, sich bewegende Sterne. Bin ich
jetzt durchgedreht? Mein Vordermann zeigt nach oben.
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Die sich bewegenden Sternchen sind die Stirnlampen von Läufern,
die sich jetzt 1000 Höhenmeter (!) am Stück auf den Gipfel,
den "Alt de la Capa", 2572 m hoch, hinaufbewegen.
Die Stöcke sind kaputt, meine Laufschuhe
sind das allerletzte, Sohlen aus Glatteis
hier am Berg absolut
nicht zu gebrauchen! Aber da erwacht wieder der Kämpfer
in mir. Diese 1000 Höhenmeter "peitsche" ich nach
oben und KEIN einziger Bergläufer überholt mich auf diesem
Stück nach oben, das immerhin drei Stunden dauern sollte. Nein,
dafür überholte ich aber andere, wie das ging, weiß
ich nicht mehr. Ich war wie im Rausch, 30 % Steigung im Berg und
ich mittendrin. Imposant, wie die Stirnlampen der anderen Läufer
vor und hinter mir auf und ab wippen.
Ganz
oben auf dem Gipfel angekommen, war es schweinekalt, gefühlt
weit unter 0 Grad Celsius, hier sind auch zugefrorene Pfützen,
die sich im Mondlicht spiegeln. Ich laufe sofort weiter, jetzt geht
es voll nach unten, na klar, wir waren ja grad auf der Bergspitze
und da flieg ich im hohen Bogen über einen Felsblock, schlage
mir die rechte Seite auf. Mein Gott, so geht das nicht. Ich muss
jetzt ganz vorsichtig im schwachen Mondlicht runter-gehen, sonst
komme ich nicht lebend unten an. Ich gehe wohl-gemerkt auf einem
Grat herunter und links davon ist ziemlich abschüssige Wand.
Jetzt ist mir klar, warum wir so oft kontrolliert werden, falls
mal eben einer fehlt
Vorsichtig schleiche ich den Pfad herunter,
den Lichtkegel anderer Läufer suchend. Mein spärliches
Stirnlampenlicht, die rutschenden Schuhe und die kaputten Stöcke
bringen mich fast um den Verstand. Ich müsste jetzt eigentlich
aussteigen. Aber soll ich jetzt hier erfrieren?
Zu Dutzenden laufen ja springen die anderen Läufer an mir vorbei.
Sie lassen mich einfach stehen, alle überholen mich. Ich fühle
Gelächter um mich herum. Ich fühle
mich gedemütigt bis aufs Knochenmark.
Bin
ich so schlecht? Es geht nichts mehr, gar nichts, ich stürze
wieder. Ich muss doch von den vielen Stürzen aussehen
wie ein Aussätziger, ich werde hier nie ankommen. Aber da,
endlich, da ist wieder eine Verpflegungsstation. Dort wird mir gesagt,
dass die Strecke wegen Unpassierbarkeit wieder geändert und
der letzte noch folgende Berg "entschärft" wird.
Dafür
müssen wir eine längere Strecke, nämlich am Ende
über 42 km, laufen. Das ist meine Chance. Ich hänge mich
wieder an Läufer dran, die gute Stirnlampen haben und klebe
ihnen förmlich an den Hacken. Bei den nach unten zu laufenden
Passagen stürze ich immer wieder hin, andere Läufer helfen
mir wieder hoch. Inzwischen hat sich das Läuferfeld weit auseinandergezogen.
Ich bin so bei km 30 und schaue
auf die Uhr. Das könnte am Ende doch eine Zeit unter 10 Stunden
werden. Knapp so lange bin ich schon einmal gelaufen, 1991 bei den
100 km in Biel
Es ist jetzt früh
6 Uhr. Zu Hause in Deutschland schlafen alle noch, ich
laufe, steige und stürze seit 8 Stunden ununterbrochen. Jetzt
endlich, die Sonne geht langsam auf. Ich erhasche einen Sonnenstrahl,
er gleitet mir übers Gesicht und er zeigt mir irgendwie die
Richtung, den Weg weiter nach unten, einen Weg aus Geröll,
Sturzbächen, Steinen und Felsbrocken. Da vorn ist wieder eine
Kontrollstation. "Wie weit noch"
."Na, 5 km"
Ist das geil! 5 km nur noch!
Ich habe jetzt
8:35 h hinter mir. Ab und zu treffe ich Läufer. Es geht eine
lange Steinmagistrale an einem Bach entlang, oberhalb von Margineda.
Ich bin völlig ausgelaugt. Wenn ich das heute schaffen sollte,
habe ich für mich einen ganz großen Coup gelandet. Aber
was jetzt, wir müssen wieder über Geröllhalden und
große Felsblöcke fast schon klettern.
Alle
Läufer haben wir jetzt das gleiche Schicksal. Zum Glück
ist es völlig hell, die Sonne wärmt ein wenig und leckt
die geschundenen Knochen. Noch 2 km, ich nehme alle Kraft zusammen.
Da ist ein Gebäude, da ist die Turnhalle. Hier
ist für mich Endstation! Nach 9:25 h habe ich diesen
Marathon, nein, kein Marathon, diese Tortur
eines Trails im nächtlichen Andorra, mit vielen Wunden bedeckt,
zwischendurch verzweifelt, fast aufgegeben, aber jetzt, einfach
nur geschafft!!! Ich kann es leider nicht beweisen, wie
hart der Trail für mich war, ich habe keine Fotos, aber er
wird mir ewig in Erinnerung bleiben. Nach einer Massage fährt
mich der Shuttle zurück nach Ordino, wo Gerd und Klaus beim
Frühstück sitzen. Moment - Klaus beim Frühstück?
Der müsste doch eigentlich noch laufen? Ja doch, das ist Klaus,
Er musste leider gesundheitsbedingt wegen
starker Kopfschmerzen und Magenproblemen aufgeben. Aber
er wird wieder kommen und sich diesen Länderpunkt holen, das
ist klar. Draußen vor dem Hotel schient die Sonne, herrlich.
Ich nehme im Hotelzimmer ein ausgiebiges Bad. Mein Koffer: immer
noch Fehlanzeige! Ich lege mich hin und versuch ein wenig zu ruhen.
Klaus und Gerd
waren inzwischen an die Strecke gefahren, wollten Judith moralisch
stärken. Bei herrlichstem Sonnenschein ging ich gegen Mittag
zum offiziellen Zieleinlauf in Ordino.
Viele
hübsche Mädels waren dort (Foto).
Kurios, ich konnte hier keine "Dicken" sehen, nur drahtige
durchtrainierte Boys und Girls waren heute zugegen. Durch die Wärme
ging plötzlich auch mein Foto-apparat wieder und so konnte
ich wenigsten noch ein paar tolle Schnappschüsse tätigen.
Hier war also das Ziel für alle Strecken, das heißt hier
kamen auch Läufer an, die 184 km in den Knochen hatten! Es
war tolle Stimmung, jeder in das Ziel ankommende Läufer
wurde frenetisch gefeiert! Mit Klaus ging es ich abends lecker essen,
nachdem unerwartet nun mein Koffer eingetroffen war. Judith lief
immer noch, denn Sie kämpfte ja um die gesamten 118 km des
Ultra Mitic. Damit lief sie inzwischen in die 2. Nacht hinein! Sie
kommt dann von Gerd empfangen überglücklich nach 30:38
h ins Ziel, ich ziehe meine "Hut"! Gewonnen hatten Sébastien
BUFFARD und Òscar PÉREZ LÓPEZ, beide liefen
zusammen in 18:11 h ein.
Von den 259
Teilnehmern auf unserer Strecke kamen am Ende 128 im Ziel nach 118
km in Ordino an, viele waren wie ich in Margineda bei der Marathondistanz
"ausgestiegen" und auch einige hatten aus verschiedensten
Gründen aufgegeben. Aber für mich war es trotzdem insbesondere
wegen meines unsachgemäßen Materials eine herausragende
Leistung! Tage später habe ich alles verdaut und gebe meiner
kleinen Enkelin Marie ein T-Shirt vom Andorra Trail
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