Hüstelnd
blättere ich noch einmal
in der Ausschreibung. Ja, hier steht es: "Achtung!
Der Brocken-Marathon ist ein Wettkampf mit ganz besonderen Anforderungen
Mit
starkem Wind und Wetterumschlag muss gerechnet werden
Jeder
Teilnehmer sollte sich darauf einstellen und trägt die persönliche
Verantwortung für seine Gesundheit." Wahnsinn! Das sind
exakt die Zeilen, die mich zur Anmeldung für "Norddeutschlands
schwersten Marathon" verführt haben. Komisch, irgendwie
klingen sie jetzt ganz anders. Damals, bei der Jahresplanung,
war ich noch voller Energie. Heute aber ist der 13.Oktober 2007
und als müdes Wrack stehe ich neben meinem Leidensbruder
Lars Unbehaun, der genauso verschnupft ist. Auch unseren Freund
Christian Marx hat es erwischt. Doch Chrissi, der Glückliche,
ist gar nicht erst angereist! Also versuchen wir es wenigstens
im Trainingstempo! Vielleicht können wir die Erkältung
sogar "weglaufen"? Andernfalls wird es eben eine harte
Charakterschulung. Bei trüben 14°C empfängt uns
Hasserode, der b(i)erühmte Wernigeroder Stadtteil. Unerwartet
blicke ich in vertraute Gesichter: Markus Süße alias
MS-SWEETY, mein fränkischer Bekannter vom diesjährigen
Obermain-Marathon und dem Rennsteiglauf, ist mit vielen Mitstreitern
angereist!
Kurz
nach 9.00 Uhr entschweben wir dem Startplatz Himmelpforte
in den verzauberten Wald. Die warme Umgebungsfarbe hat scheinbar
das Bunte der Läufer angenommen. Wir entdecken lustige Bommelmützenträger,
verfolgt von einem grauen Herrn in Sandalen. "Letztes Jahr
um die Zeit ist der schon mit freiem Oberkörper gelaufen!"
raunt es neben mir, bevor wir einen humpelnden beinbandagierten
Weggefährten überholen. "Mir geht es gut"
versichert der strahlend. Echt? Hm. Ob er auch weiß, dass
jeder aus dem Rennen genommen wird, der erst nach 3 Stunden auf
dem Brockengipfel ist? Schon schnaubt hinter uns eine Dame, die
alleine im Vorjahr über 100 Marathon-Wettkämpfe absolviert
haben soll. Werden wir von Entrückten umzingelt? Aber wieso
fühle ich mich in diesem Pulk dann so wohl? Jetzt will ich
es wissen und bohre tiefer.
Unser neuer Begleiter, René Gnauert
aus Berlin, bestätigt meine Vorahnung. Im nächsten
Jahr will René erstmals die wichtigsten Läufe für
den Europacup der Ultramarathons sammeln. So wie ich! Das ist
kein Zufall. Wir mussten uns begegnen! Können sich "Lebensläufe"
gleichen? Gibt es unter "Extremläufern" eine Art
Seelenver-wandtschaft oder gar Vorbestimmung? Gedanken-versunken
ignoriere ich die Drohungen meiner rechten Hüfte bis sie
langsam verstummen. Nach gemächlichem "Auf und Ab"
betreten wir das sagenhafte Ilsetal. Lars beeindruckt mich mit
seiner Disziplin, denn trotz unserer bedenklichen 10-Kilometerzeit
von 1 Stunde und 2 Minuten behält er den lockeren Schritt
bei. Respekt! Der Heinrich-Heine-Weg führt durch den Nationalpark
Hochharz, der angeblichen Heimat von Auerhahn und Feuersalamander.
Begründete der "letzte Dichter der Romantik" etwa
hier seine Karriere, die mit dem Bericht "Die Harzreise"
begann? Überrascht gerate ich ins Schwärmen und mein
Fotografenherz schlägt höher. Ich befreie meine Digitale
und begleite die Kameraden mit Kamera. Vor unseren Augen breitet
sich eine gemalte Landschaft aus, in deren Mitte sich die wilde
Ilse hinab stürzt. Sofort mutiere ich zum Genussläufer.
Es wird Zeit für
das erste entspannte Wettrennen meines Lebens! Der
Himmel öffnet sich und für einen Augenblick bringt jeder
Schritt die Erinnerung an meine sonnige Kindheit zurück.
Doch ein Rudiment aus grauen Vorwendetagen naht.