30. Internat. Kyffhäuser Berglauf - 6. TNT Kyffhäuser-Berg-Marathon

Text und alle Fotos von Mirko Leffler (email: Photo@photo-perfect.de)


 

Mir graut der Morgen. Immer wieder höre ich die Worte des Taxifahrers "Beim Kyffhäuser Berglauf regnet es. Das ist so!" War das gestrige Foto mit dem zweifachen DDR-Marathon-Olympiasieger Waldemar Cierpinski etwa der ganze Glanz des Wochenendes? Dicke Dunstschleier belagern die Oberkirche in Bad Frankenhausen. Und damit den Kirchturm, der mit seiner Schräglage selbst den schiefen Turm von Pisa in den Schatten stellt - aber nur bei Sonnenschein! Unerwartet öffnet sich der Himmel und wirft einen ersten Lichtstrahl auf den vernebelten 12.April 2008. Gerettet! Langsam sammeln sich knapp 300 Wegemutige vor der Therme. Ein übersichtliches Starterfeld ist doch der wahre Vorteil der "Provinzmarathon`s"! Maximal die Einsamkeit kann bedrohlich werden. Denn wen soll man hier treffen? Aber mit meinem furchtlosen Gefährten Christian Marx kämpfe ich gegen diese düstere Vision an.

Zwei Minuten nach 9.00 Uhr verwirrt mich eine Stimme "Du warst vor 3 Wochen schon einmal neben mir. In Kapstadt! Entgeistert schaue ich auf meinen Nachbarn. Jürgen Pörschmann aus Leipzig? Einfach unglaublich, diese Globalisierung! Handverlesene Zuschauer schreien uns an. "Nicht abreißen lassen!" Lachend kontern wir: "Langsamer geht`s nicht!" Was für ein Spaßlauf! Auf der zart ansteigenden Landstraße tasten wir uns an das sagenhafte Reich von Kaiser Friedrich I. heran. Blaugrüne Seen schimmern unsichtbar unter der Erde in der Barbarossahöhle. Schlagartig steht er vor uns. Der alte Rotbart! Sein fleischgewordenes Spiegelbild lächelt uns milde an. Ehrfurchtsvoll blicken wir hinüber. Oder hat Barbarossa sein unterirdisches Schloss wirklich verlassen, um uns Frieden und Eintracht zu schenken? Mit Phantasie und neuer Hoffnung male ich mir saftige Blätter an die noch kargen Bäume. Schon besser! Vor uns trippeln rhythmisch 2 Shirts mit dem Aufdruck "42KM BERLIN". Moment, das sind Rennsteigläufer! Gabi und Rüdiger Littwin werben heute für den Lebenstraum Anderer.

Gemeinsam begleiten sie HIV-Positive, die einmal den Berlin-Marathon beenden wollen. Meine Anerkennung! Ein Schild warnt nach einer Stunde und elf Minuten: "noch 32 km". Wie nett. Jetzt müssen wir stark sein! Ist das da vorne Ralf Beelitz aus Berlin? Tatsächlich. Flankiert von seinen Kameraden Andreas Hellwig, Thomas Fritzlar und Henry Strauß! Sofort sind wir in hochgeistige Gespräche vertieft. "Du schreibst doch diese Laufberichte?" Ich nicke aufmunternd. Folgt jetzt die glorreiche Huldigung? Lorbeergeschmückt räkele ich mich Gedanken versunken auf einer prosafarbenen Wolke. Hoch über dem Kyffhäuser. Übergangslos bläst ein kalter Gebirgswind: "Hör mal zu, Freundchen, das nächste Mal fotografierst du mich von vorne. Deinetwegen denkt mein Sohn, dass ich eine Glatze habe!" Ups, da muss wohl ein Brocken-Marathon-Foto etwas zu scharf geworden sein. "Sorry, kommt nicht wieder vor!" beruhige ich meinen Kritiker. Die wachsende Digitalisierung hat auch hässliche Seiten! Von weitem glänzt bei Kilometer 17 das silberne Haupt eines Fernsehturmes.

Hilfe! Knöcheltief versinken wir auf dem Kulpenberg in braunen Schlammlöchern, denen wir nicht entrinnen können. Ich wünsche mir riesige Gummistiefel! Obwohl es irgendwann lustig wird.Prompt regt sich ein kindischer Verdacht: Ist der Berglauf nur ein Alibi für ausgewachsene Mädchen und Jungs, die die Erinnerung ein wenig manipulieren wollen? Immerhin werden unsere Muttis heute Abend nicht mehr über die schmutzige Wäsche schimpfen, sondern ziemlich stolz auf die Kleinen sein! Nach zwei Stunden zwanzig tropft der Halbmarathon vom Absatz. Wir brauchen eine Abwechslung! Chrissi entdeckt als Erster die erhabene Krone des gigantischen Kyffhäuserdenkmals. Fotopause! Dutzende Weggenossen eilen hastig vorbei. Sanft bändige ich meinen Freund: "Keine Angst, die sehen wir alle wieder!" Doch geschwind folgen auch wir talwärts dem Puls der Natur. Christian dreht sich abrupt um und zeigt in meine Richtung. Nanu? Eine junge Frau erwartet mich! "Bist du der Mirko Leffler?" Irgendwie scheint das kein Tag für Lobpreisungen zu sein! Kann mir jetzt eine falsche Identität helfen? Aber mein Gewissen wird entschädigt. "Wir kennen uns vom Untertagelauf in Sondershausen!" Natürlich, meine verkrampfte Marathon-Premiere im Dezember 2005!

Die liebe Ilka Maria Banatzki hat mir auf den letzten Metern Mut eingehaucht. Eine freudige Überraschung. Und es gibt partnerschaftliche Gemeinsamkeiten mit der Bochumerin! Ilka Maria`s Mann betreibt gerade "Walking" - meine Frau ist beim "Shopping". Beide verbrennen also genügend. Vielleicht sogar Kilometer? Augenblicklich ist Chrissi entflohen. Drei Stunden, sechsunddreißig Minuten und 30 Kilometer sind zerronnen. Mit Begleitern trabe ich durch den matschigen Naturpark. Trotzdem alleine. Vor der Flugplatzwiese schleicht sich der Blues in meine Beine. Mutig versuche ich, ihn zu ignorieren. So, wie das den putzenden Freizeitkapitänen mit mir gelingt. Aber die Segelfliegerpiloten sind offenbar besser trainiert! Plötzlich bewegt sich der Wald. Chrissi? Ja! Seit einer Viertelstunde langweilt sich mein Kamerad auf einer Bank, um mir nahe zu sein. Natürlich sind längst alle Kranken, Übergewichtigen und Gehbehinderten an ihm vorübergezogen.

Doch eine Belohnung wird uns vor die Füße gelegt. Das Panoramamuseum erhebt sich! Ein mächtiges "Elefantenklo" versteckt auf historischem Boden das größte Sinnbildgemälde der Welt. Immerhin war hier 1525 das Finale des deutschen Bauernkrieges! Auch für uns ist soeben das Ende der Schlammschlacht angebrochen. Als Kriegsheimkehrer humpele ich langsam dem Ziel entgegen. Bis mich Christian elegant von meinen Sprinterqualitäten überzeugen kann: "Los jetzt - beeil dich!" Derart motiviert können wir unseren Streifzug in die Vergangenheit nach 4:55:28 glücklich beenden und uns von dem Moderator gehörig feiern lassen. Langsam verklingt die Musik. Auf dem Weg in die Kyffhäusertherme warten zwei ausgetretene und völlig verklumpte Laufschuhe. Aber ihr Besitzer wird nicht mehr kommen. Er hat sich innerlich von ihnen verabschiedet und sie leise unter dem Papierkorb platziert. Verließ ihn die Kraft als er sie achtlos entsorgen wollte? Seine Wegbereiter haben diesen Tag nicht überstanden.

Doch an den Lauf, von dem sie stumm erzählen, werden wir uns noch lange erinnern.

 

 
 

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