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11.09.2016
Tallinn
Marathon 10
Tage vor dem Marathon buche ich die Flüge und das Hotel und
melde mich für den Lauf an. Ansonsten komme ich nicht dazu,
mich auf die Reise vorzu-bereiten. Von Estland und Tallinn weiss
ich fast gar nichts als ich am Freitag, dem 9.12.2016 am Tallinn
Airport ankomme. Ich wundere mich, dass der Flug eine Stunde
weniger als geplant gedauert hat und wir schon 11:30 anstatt 12:30
da sind. Erst etwas später im Taxi fällt mir ein, dass
ich doch mehr als 2000 km geflogen bin und damit die Zeitzone gewechselt
habe. Eine andere
kleine Überraschung erwartet mich am Ausgang. Ich stelle fest,
dass ich mitten in Dreharbeiten zu einem Film geraten bin. Neugierig
mache ich mit meiner Smartphone-Kamera ein paar Fotos - zunächst
von der kleinen Crew selbst und dann von einer Szene, wo sich ein
Liebespaar trifft. Als
die Aufnahme vorbei ist, merke ich, dass die attraktive Hauptdarstellerin
- ein "Star" in Estland - in meine Richtung zeigt und
etwas zu der Regieassistentin sagt. Diese kommt anschliessend auf
mich zu bittet mich - sehr freundlich - die Fotos, die ich gerade
aufgenommen habe, nicht im Internet zu veröffentlichen. Ich
verspreche, dies nicht zu tun.
Die
Entfernung vom Flughafen zur Altstadt, wo mein Hotel
St Olav liegt, beträgt gerade mal 5 km. Gegen 12:15
bin ich da. Es bleibt mir ca. 1 Stunde bis auch "Obetroll"
Peter und sein Freund Micha, den ich noch nicht kenne, hier ebenfalls
eintreffen. Sie beide, aber auch "Eisentroll" Mirko und
seine Frau Tina haben ihre Reisebuchungen bereits im Juni getätigt.
Ich dagegen war lange Zeit unentschlossen und schloss mich ihnen
erst vor knapp 2 Wochen an. Mirko musste wg eines privaten Schicksalschlags
kurzfristig wieder absagen, was wir sehr bedauerten. "Wir werden
beim Marahon mit unseren Gedanken bei Dir sein" - schrieben
wir Mirko auf Whatsup. Genauso wie bei meinem Sohn Roman, der auch
ein Marathonläufer war und vor 4 Jahren gestorben ist. Wir
werden die T-Shirts, die wir zum Gedenken an Roman 2012 beim Wroclaw-Marathon
getragen haben, wieder anziehen.
Für Peter - unseren
Länderpunksammler (115 Marathons in
65 Ländern und damit auf Platz 18 in der Weltrangliste)
- wird es am Sonntag ein "Marathon-Comeback" sein. Er
musste nach einer Hüftoperation vor 3 Jahren seine "Laufkarriere"
unterbrechen. Er konnte lange Zeit wegen starker Schmerzen überhaupt
nicht laufen. Nun
ist es soweit, dass er wenigstens ein Drittel laufen und zwei Drittel
gehen und damit voraussichtlich im Zeitlimit bleiben kann.
Ich habe jetzt also eine
Stunde Zeit und beschliesse, die Altstadt schnell zu erkunden. Nach
3 Minuten bin ich schon auf dem imposanten Markt mit dem Rathaus
aus dem 15 Jahrhundert. In der Stadtinformation hole ich mir verschiedene
Stadtpläne und ein paar Prospekte z.B. von der Sightseeing-City-Tour.
Dann laufe ich noch ein Stück auf der Harju- Strasse und gelange
ganz zufällig zum Freedom-Square,
wo am Sonntag der Marathon starten wird und wo mehrere Zelte ( u.a.
mit der Startnummern-ausgabe) aufgebaut sind. Gegen 14:30 bin ich
wieder im St Olav-Hotel und treffe an der Rezeption Peter und Micha,
die gerade eingetroffen sind.
Zusammen
gehen wir dann nochmal zur Start-nummern-ausgabe. Wir machen unsere
obligatorischen Engelchen-Fotos, u.a mit dem "Fahrrad-Mädchen"
(Foto) , wie wie eine junge
Frau nennen, die mit einem Citybike unterwegs ist. Ich konzentriere
mich dabei auf ihr Gesicht, so dass mir das Fahrrad gar nicht auffällt.
Anschliessend besichtigen wir die "Oberstadt" mit der
imposanten Alexander
Newski-Kathedrale (Foto).
Den Abend lassen wir mit Pizza und Bier in einem Biergarten auf
dem Marktplatz ausklingen. Zufällig sind wir dabei Zuschauer
bei dem 5 km-Lauf, der zusammen mit dem 10km-Lauf am morgigen Samstag
und den Halb- und Vollmarathon-läufen am Sonntag zum Programm
des "Tallina-Marathon" gehört.
Nach der lauten und etwas
zu kurzen Nacht (eine Diskothek mit einer Lautstärke von gefühlt
120 Dezibel im Hotelkeller hat uns um den Schlaf gebracht) gehen
wir am späten Samstagmorgen zum Viru-Platz und kaufen Tickets
für die Stadtrundfahrt,
die 3 Touren: blau, grün und rot umfasst.
Wir fangen mit der längsten,
der blauen Tour an (Map).
Am Botanischen Garten, nach ca. 45 min, beschliessen wir auszusteigen,
Kaffe trinken und uns ein wenig die Beine im Grünen zu vertreten.
In der schönen, gepflegten Anlage verbringen wir ca. 1.5 Stunden.
Anschliessend fahren wir zurück ins Stadtzentrum und "arbeiten"
noch die beiden anderen Touren ab.
Sonntag
- der Marathontag. 8:25 Uhr gehen wir aus dem Hotel und
nach 8 Minuten sind wir schon am Start auf dem Platz der Freiheit.
Die Bedingungen sind ideal - leicht bewölkt, die Temperatur
liegt bei 18 Grad. Wir machen noch ein paar Fotos, u. a. mit einem
blonden, sehr sympatischen, jungen "Engelchen" (Foto).
Ein paar Minuten später zeigt Peter plötzlich auf eine
andere Läuferin und sagt: "Das ist doch das Mädchen
mit dem Fahrrad von gestrern". "Welches Mädchen mit
Fahrrad?" - schauen wir uns mit Micha fragend an? "Habt
ihr eine Gedächtnisstörung"? - wundert sich Peter
- "wir haben doch mit ihr gestern eine Menge Fotos gemacht".
Ich kann mich immer noch nicht erinnern, Micha auch nicht. "Das
war vor dem Zelt, wo wir die Startunterlagen geholt haben, Sie hat
uns erzählt, dass das heute ihr erster Marathon wird".
Ach ja, jetzt fällt es uns wieder ein.
Start ist um 9:00 Uhr.
Zunächst laufen wir über den Domberg. Nach 2 Kilometern
sind wir am Hafen und laufen dann auf den Strassen Ahtrii
und Tukri (-> Strecke).
Nach 5 Kilometern kommen wir direkt ans Meer.Jetzt geht es Richtung
Norden, die ganze Zeit an der Küste entlang. Wir bleiben zusammen
und haben viel Spass. Immer wieder halten wir an und machen Fotos.
Peter's Hüfte
geht es gut, er will bis zum Halbmarathon durchlaufen und dann gehen.
Ich selbst habe keine konkrete Strategie, mal sehen was sich so
ergibt. Eins steht für mich fest: Ich will mich heute auf keinen
Fall quälen und nur einfach locker durchjoggen.
Nach etwa 5,5 Kilometern
überholen wir eine kleine Gruppe, in der wir u.a. unsere "Fahrradfreundin"
wieder erkennen. Ein Foto mit den vielen jungen Läuferinnen
ist Pflicht (Foto). Genauso
wie mit dem finnischen "Wikinger", der auch in dieser
Gruppe mit läuft (Foto
rechts oben). Ich schaue zur Zeit auf Amazon Prime die Wikinger-Serie.
Dieser Hüne würde dort perfekt reinpassen.
Peter
- zur Zeit mehr auf "Engelchen" konzentriert - nimmt aber
den Wikinger gar nicht wahr. Er wird uns später im Ziel von
einem blonden, langhaarigen Finnen erzählen, den er auf der
zweiten Hälfte immer wieder gesehen hat. "Das muss der
"Wikinger" gewesen sein" - werde ich ihm sagen und
unser Gruppen-Foto zeigen auf dem er ihn - sich wundernd - eindeutig
wieder erkennen wird.
Die Verpflegungs-stellen
kommen sehr häufig, alle 2,5 Kilometer und die Versorgung mit
Wasser, Iso-Getränken, Rosinen, Bananen, usw. ist wirklich
perfekt. "Vichy" oder "Borneo" - rufen laut
die vielen sehr engagierten und freundlichen Helfer. "Vichy"
steht für eine Wasser-Marke und "Borneo" (was mich
an den schönen Borneo-Marathon
2010 erinnert) ist zunächst meine Erfindung bzw. meine
freie Interpretation, bis ich es an der n-ten Verpflegungsstelle
endlich richtig verstanden habe - "spordijook" also Sportgetränk
soll es heissen (schnell ausgesprochen hört sich das wie pordijo
oder bordijo oder halt wie borneo an). Bis Kilometer
10 bleiben wir immer noch zusammen. Dann - nach einem erneuten "Fototermin"
- bin ich auf einmal fünfzig Meter vor den Beiden.
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Der Abstand wächst
schnell. Am Wendepunkt bei Kilometer 11 sind das schon einige Hundert
Meter. Ich beschliesse, jetzt mein Tempo so weiter zu laufen, ohne
auf die Beiden zu warten. Irgendwann hätten wir uns sowieso
trennen müssen.
Weit
vor mir sehe ich den Luftballon des 4:45-Tempoläufers. Der
Abstand verringert sich kontinuirlich, bis ich die Gruppe um 10:40
Uhr bei Kilometer 16 erreiche. Vorher halte ich aber noch kurz an
und mache ein Foto von dem allerletzten Mann des Feldes - Andres
mit der Startnummer 2289 (Foto).
Anstatt von einem "Besen-wagen" wir er von 2 Radfahrern
begleitet. Anders ist der "Radiergummi", die "Bleistifte"
laufen an der Spitze und werden mir schon sehr bald entgegen laufen
(Foto). Wenn ich Pech habe,
werden sie mich noch überrunden. Wir laufen jetzt auf der breiten
Piritatee Strasse. Vor uns haben wir einen herrlichen Blick auf
die Altstadt, rechter Hand erstreckt sich das Baltische Meer. Plötzlich
taucht Micha neben mir auf.
Wir unterhalten uns
kurz. Ich denke, wir bleiben nun eine Weile zusammen aber Micha
nimmt sein hohes Tempo, mit dem er mich eingeholt hat, wieder auf
und entfernt sich schnell, so dass ich ihn bald nicht mehr sehe.
Ich laufe weiter in meinem 5:50 bis 6 min/km-Schnitt und geniesse
einfach diesen herrlichen Lauf, ohne mich allzu sehr anzustrengen.
Allerdings
ist mir die 4:45h- Gruppe etwas zu langsam. Ich lasse sie hinter
mir. Bald bin ich bei Kilometer 20. Laute, coole
Rockmusik und begeisterte Cheerleader (Foto)
begrüssen mich auf dem Viru-Platz (zu Errinerung - hier ist
unsere Bus-Stadtrundfahrt gestern gestartet). Dann biege ich nach
links ab, der letzte Kilometer geht bergan Richtung Ziel. Nach 2h20
passiere ich die Halbmarathon-Marke. Die zweite Runde beginnt. Ich
laufe wieder Richtung Domberg. Plötzlich, völlig überraschend,
sehe ich Micha am Strassenrand. "Laufen wir zusammen weiter?"
- frage ich. "Nein, ich will auf Peter warten" - antwortet
er. "Ok, dann bis später". Nach 27 Kilometern bin
ich wieder am Meer.
Jetzt ist es sonnig und
etwas wärmer aber immer noch sehr angenehm. Der weite Blick
aufs Meer, das schöne Wetter und die Sicherheit, dass ich heute
meinen 86. Marathon schaffen werde - meine Seele lacht, es ist einfach
nur schön. Selbst der Fischgeruch, der jetzt deutlich stärker
als auf der ersten Runde ist, trübt kaum diese herrliche Stimmung.
Vor mir sehe ich jetztt das Russalka-Dekmal,
dahinter, im Grünen, die sowjetische Gedänkstätte
Maarjamäe..
Der
Luftballon des 4:30h-Zeitläufers wird in der ferne sichtbar.
Das ist jetzt mein nächstes Ziel. Ohne das ich mein Tempo erhöhen
muss, nähere ich mich kontinuierlich dieser Gruppe. Exakt bei
der Wende, also bei Kilometer 32 habe ich sie eingeholt und beschliesse,
eine Weile lang bei ihr zu bleiben. Es ist jetzt 12:30 Uhr. Vor
einer halben Stunde sind die Halb-marathonis gestartet. Es wird
nicht mehr lange dauern, bis mich die HM-Spitzen-läufer, die
ich gerade auf der anderen Strassenseite gesehen habe, überholen.
Bald sehe ich die endlose Masse der restlichen HM-Läufer. Die
Marathonläufer gehen darin voll unter. Erst ärgere mich
etwas darüber, dass Peter, Micha und die vielen anderen Marathonis,
die hinter mir sind (das ist immerhin ein Drittel von insgesamt
1800 Startern) nicht genügend Beachtung finden werden. Später
ändere ich die Meinung, nachdem ich auf den letzten Kilometer
die Zuschauermassen erlebe, die nicht zuletzt wegen der vielen Tausend
HM-Läufer da sind.
Die Wahrscheinlichkeit,
dass ich Peter und Micha (wenn er immer noch bei ihm ist) nochmal
sehe, ist gering und trotzdem - plötzlich treffe ich die Beiden,
die mich zuerst erkannt haben, mitten im dichten Läuferstrom.
Wir bleiben stehen, ich will ein Foto machen, leider versagt die
Kamera meines nass gewordenenn Smartphones.
Dann
holen wir es halt im Ziel nach. Wir laufen in entgegen-gesetzen
Richtungen weiter. Mir geht es immer noch sehr gut, auch wenn die
Beine jetzt etwas schwerer wirken und ich immer wieder ein paar
Dehnübungen machen muss. Bei Kilometer 38 denke ich daran,
dass es nur noch eine Runde im Dresdner
Grossen Garten ist (was früher, in den "alten,
guten Zeiten" meine Trainings-strecke war). Bei Kilometer
39 überholt mich plötzlich das blonde "Engelchen",
mit dem ich vorhin in der 4:30-Gruppe zusammen gelaufen bin und
von dem ich glaubte, es weit hinter mir gelassen zu haben. Mich
packt der Ergeiz. "It goes not" - sage ich zu mir auf
"English
for Runaways" - "du musst dran bleiben". Es ist
nicht einfach, denn sie hat ein gutes Tempo. Mit viel Willenskraft
schaffe ich es jedoch, ihr auf den nächsten zwei Kilometern
zu folgen.
An der letzten "
Bergankunft" (ab Kilometer 41) denke ich an den Ötztal-Radmarathon
, an dem ich zwischen 1997 und 2004 fünf Mal teilgenommen habe,
und bin nicht mehr zu halten. Ich überhole die junge Läuferin
und komme nach 4:25:55 (Netto 4:24:45)
ins Ziel.
Das
"Engelchen", das übrigens Inger Polding (Start-nr:
1077) heisst, braucht eine halbe Minute länger (Foto).
Micha, das sich nach 32 Kilometern von Peter getrennt hat, erreicht
das Ziel nach 5:10:09. Peter
selbst ist nach 5:56:55 da (>>
Ergebnisse).
Bevor er die Ziellinie überquert, küsst er - überglücklich
über den gelungenen Comeback - den Tallinner Kopfstein-pflaster
(Foto) und kurze Zeit später
auch ein paar von den "Engelchen", die den Finishern die
Medaillen überreichen. Das
"Fahrrad-Mädchen" (Kristina Roosileht, Start-nr:
1158) schafft erfolgreich seinen ersten 42,195-Lauf in 4:47:47.
Der "Wikinger" (Kauko IsomäkiI, 2267) kommt nach
5:46:23 ins Ziel. Ein herrlicher Marathon
geht für uns alle zu Ende.
Am Montag machen wir
noch mit Peter und Micha einen Ausflug zum Kadriorg-Schloss
(Foto), gehen von dort ans Meer
zum Füsseabkühlen und besichtigen anschliessend die St.
Olai-Kirche.
Das Treppensteigen zur
Aussichtsplattform auf dem Turm dieser Kirche ist nach dem Marathon
recht anstrengend, man wird jedoch oben mit einem herrlichen Blick
auf Tallin und Umbebung belohnt. Wir liegen noch eine Weile auf
der Wiese neben dem Kreuz für die Opfer des Schiffunglücks
im Jahr 1994 (Fähre
Estonia) (Foto). Anschliessend
fliege ich nach Dresden zurück, die beiden anderen "Trolle"
bleiben noch einen Tag länger in der schönen estnischen
Hauptstadt.
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