"Die schönste Idylle der Welt"

3. Trail Serra de Tramuntana
16.04.2011

Bericht von Mirko Leffler

Hier ist sie tatsächlich zu Hause, "die schönste Idylle der Welt." Als ich mich vor einer Dreiviertelstunde - kurz nach sieben - mit dem Starterfeld aus dem Bergstädtchen Valldemossa schälte, gehörte die Welt noch der Dunkelheit. Frederic Chopin behält auch am 16.April 2011 Recht. Über 170 Jahre nach seinem Besuch auf Mallorca! Spätestens auf dem Camí de s'Arxiduc wäre für ihn auch der Ausspruch seiner Geliebten George Sand wahr geworden. Den kränkelnden Komponisten hätte die Landschaft bestimmt "sprachlos" gemacht - nach fünf Kilometern und zehn Prozent Steigung (Foto)! Die Sonne und der Wind reinigen meine Gedanken. Ich bin gefangen in dieser Natürlichkeit. Weit vor und direkt neben mir fallen die Steilwände ins Mittelmeer.

Unglaublich! Selbst wenn ich mit 61,5 Kilometern nur den "kleinen Trail" gewählt habe, bin ich bereits jetzt dankbar, teilnehmen zu dürfen. Der Weg zum Paradies auf Erden ist wohl oft nur zu Fuß zu erreichen. Aber richtig genießt nur, wer nicht zu schnell unterwegs ist. Verwirrt kommt mir eine längst enteilte Läufergruppe entgegen, die in der Hektik die markierte Abzweigung übersehen hat. Über spektakuläre Routen verfolge ich die Wettkämpfer bergab. Mit jedem Meter verwandelt sich die Umgebung. Aus Felsen werden Bäume und meterhohe Gräser. Nach 9,4 Kilometern ist Verpflegungspunkt 1 in Deià erreicht. Einige Kameraden haben Schuhe und Socken abgelegt, um ihre Füße zu beäugen. Der 3. Trail Serra de Tramuntana hat erste Spuren an Körper und Geist hinterlassen. Ich entfliehe dem Künstlerort. Noch fühle ich mich so frisch wie die am Straßenrand baumelnde Wäsche. Über Holzleitern und Treppen (Foto) steigt der Pfad an und lässt mich nebenbei Kraft aus der Weite des Meeres schöpfen.

Doch hinab zum Talkessel wird es dramatisch. Eine Spanierin schreit ihre äußerlich unverletzte, wie versteinert auf dem Boden hockende Kameradin an (Foto). Umsonst. Für sie ist der Lauf zu Ende. In der Stadtmitte von Sóller liegt in einem Hinterhof VP 2 und Kilometer 18,1. Ich schließe mich wandernden Teilnehmern an, die es gar nicht mehr eilig haben, die inoffizielle Hauptstadt der Tramuntana zu verlassen.

Mein Blick klebt an den Bergen und ich weiß nun, warum. Satte 900 postive Höhenmeter lauern bis zum nächsten "Checkpoint"! Nun zeichnet mich das Leben. Beinahe ein Dutzend Kunstjünger bevölkern das Gelände und veredeln ihre Leinwände. Herrlich! Mit jedem Schritt kommt die Stille näher. Eine werdende Mutti liest ihrem Bauch lautlos aus einem Buch vor, ein Liebespaar schlummert im funkelnden Gras. Schon höre ich den Wind flüstern: "Halt! Setz dich. Nur für eine Minute!" Aber ich bleibe auf dem Weg. Auf der Anhöhe treffe ich einheimische Mitstreiter - Kiko und Jaume. Fragend zeige ich in Richtung Horizont. Müssen wir da rauf? Nein, der höchste Gipfel der Insel, Puig Major, ist militärisches Sperrgebiet! Beflügelt passiere ich den türkisfarbenen Stausee Embassament de Cúber, der die ideale Kulisse für einen Indianerfilm bietet.

Augenblicklich rechne ich mit einem Angriff der Apachen, aber es bleibt ruhig. Kilometer 27,6. Ein Armeezelt markiert VP 3 (Foto), doch meine Uhr schlägt Alarm: 6 Stunden und 45 Minuten sind verbraucht! Schnell befüllen die sorgsamen Helfer meine Flaschen und ich erklimme den nächsten Berg. Nanu, wieso lehne ich denn plötzlich an einem Baum?

Verflixt, die Oberschenkel streiken. Für ganze 30 Sekunden sehe ich mir zu und werde wütend: ich muss weiter! Wie aus dem Nichts überholen mich zwei Männer. Vermutlich bin ich der Einzige, der ohne "Stöcke" unterwegs ist. Der aufmunternde Gruß oder das Schulterklopfen sind nun Ritual; die beinharte Strecke hat aus Konkurrenten längst Gefährten gemacht. Kurz vor dem höchsten Punkt verneige ich mich innerlich vor einem weiteren Duo - den wahren Helden der Gebirgskette. Die Beiden überholen mich leichtfüßig und tragen grüne Startnummern. Ein Indiz dafür, dass sie bereits um Mitternacht in Andratx aufgebrochen sind, um mehr als hundert Kilometer zu bezwingen.

Für mich heute unvorstellbar! Weit im Tal unter mir springen Läufer wie bunte Pinselstriche durch das Bild. Da geht es runter (Foto)? Eine unwirkliche Steinwüste erwartet mich. Es scheint als hätten tausende Kieslaster ihre grobe Ladung gleichmäßig über den Hang verteilt.

Abwärts stolpernd lerne ich eine neue Lektion: nicht allein die Höhenmeter, sondern vor allem der Untergrund entscheidet über das Tempo - und das Profil ist hier überwiegend gnadenlos! Endlich erscheint VP4 in Lluc. Bei Kilometer 44,3 sammele ich mich ein letztes Mal, um aus dem bedeutenden Wallfahrtsort weiterziehen zu können. Unverhofft erklingen Stimmen hinter mir: Kiko und Jaume sind wieder da. "Do you like running?" fragen die Mallorquiner. "Why not!" antworte ich grinsend. Genug gepilgert! Wir steigern die Geschwindigkeit und stürzen wie ein Wasserfall die Serpentinen hinab. Schlagartig drückt der Rucksack nicht mehr und die Schreie aus meinem linken Schuh sind verstummt. Gemeinsam erreichen wir Pollença. Wie die Mitglieder der spanischen Königsfamilie werden wir auf den letzten Metern von der Polizei eskortiert und schreiten lächelnd durch das Ziel (Foto).

Das war´s! Bei unserem Abschied sehe ich Tränen in Kiko`s Augen. Ja, wir haben es nach 13 Sunden und 26 Minuten geschafft. Aber was für ein Gefühl muss das erst nach 104,7 Kilometern sein? Und auf einmal bin ich sicher: Mallorca, wir sehen uns wieder!

( Dieser Bericht wurde vorab in "Running - Das Laufmagazin" veröffentlicht)

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