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Übergangslos
ertönen unheimliche Klänge. In einem Pulk sammeln sich
über ein dutzend Läufer um einen großen, kräftigen,
dunkelhäutigen Mann. Ein Schamane? Seine seltsamen Stoßlaute
werden von der Gemeinde im Chor wiederholt. Hinter seinem Rücken
ragt eine lange Fahnenstange aus einer Flasche. "6:00"
lese ich auf dem Wimpel. Aha, ein Schrittmacher Doch
was für ein Typ! "Schaut nicht auf den Berg,
schaut auf mich! Ich bin ein Profi
" übersetze ich
die beschwörenden Worte, bevor er im Echo seiner Gläubigen
vorüberzieht. Nur kurz atme ich die phantastische Aussicht
auf die Bucht von Hout Bay und den Atlantischen Ozean ein. Schon
warten die ersten "Balkenstationen" mit einem Helferteam
auf die "Verkrampften". Weiter! Wer sich unterwegs massieren
lässt, hat verloren! Kommt dort der Anstieg zum Constantia
Nek? Die Sonne sticht und das Umfeld nehme ich nur schemenhaft wahr.
Dennoch höre ich wie aus weiter Ferne immer wieder meinen Namen.
Oft garniert mit einem netten "Well done" - "Gut
gemacht"!
Doch
ich fühle mich gar nicht mehr so "well". Das scheinen
auch die Straßenbewohner zu spüren. Erneut wollen mich
drei "Katzenaugen" kurz vor der Marathonmarke zu Boden
werfen. Diese Biester! Erschrocken sehe ich zu meiner "Zeitmaschine":
4:36:21. Für die letzten zwei Kilometer habe ich satte 17 Minuten
gebraucht. Ich bin zu langsam! In meinem Hinterkopf verwandelt sich
die ersehnte Bronzemedaille in rostiges Blech. Sechs Stunden sind
für mich heute unerreichbar. Und nun? Dann genieße ich
dieses Abenteuer eben. Die "Blaue Medaille" ist mir selbst
im Wanderschritt sicher! Hoffe ich. Befreit scherze ich mit meinen
Kollegen und dem begeisterten Publikum. Was
für ein Klima! Egon trippelt neben Alice, Lance und Jetaime.
Alle Hautfarben, Altersklassen und Kontinente sind kameradschaftlich
vereint. Das ist mehr als ein Symbolbild.
Hier
läuft nicht Afrika, hier läuft die Welt! Der Gipfel liegt
hinter uns. Bergab! Augenblicklich betrauere ich qualvoll die fehlende
Steigung. Aber Kirstenbosch ist nahe! Auf den letzten Kilometern
plausche ich mit einem witzigen Franzosen, der extra für dieses
Event nach Kapstadt geflogen ist.Verwundert
denke ich an meine Paris-Visite. Spricht mein Begleiter wirklich
Englisch? Na also, es geht ja doch! Kilometer 54. Vorwärts,
jetzt wird durchgezogen! Endlich betreten wir das Rugby Feld der
Kapstädter Universität. Die
leidenschaftlichen Zuschauer stehen hinter den Werbebannern Spalier
und feiern uns wie Sieger. "Germany!", "Mirko go!",
"Deutschland!" schallt es über den Rasen. Für
ganze 300 Meter bade ich in Glückshormonen - und vergeude keine
Sekunde mit einem Sprint. Nach 6:35:22
lacht mich die "Blue Medal" an. Oder aus? Noch
bin ich etwas unsicher. Bis die Veranstalter ein Seil vor die Ziellinie
spannen lassen.
Sieben
Stunden sind vergangen. Und der Strom aus tapferen Kameraden
fließt unvermindert weiter. Nur das Durchkommen ist ab sofort
unmöglich. Die Absperrung stoppt Frauen und Männer, die
länger unterwegs waren und die nun mehr leiden müssen
als all ihre Vorgänger: Niemand beachtet sie mehr. Kein Publikum,
kein Präsent, keine Notiz. Laut Ergebnisliste werden sie diesen
Lauf nicht beenden. Trotzdem machen sie weiter! Ein letztes Mal
blicke ich auf meine Medaille. Das
mit Farbe aufgetragene Meeresblau erinnert mich wirklich an das
Kap der Guten Hoffnung. An jenen magischen Ort, an dem Marianne
vor genau sechs Tagen offiziell meine Frau wurde. Nach 14 gemeinsamen
Jahren. Plötzlich weiß ich:
Geschwindigkeit
ist zweitrangig, solange wir auf dem richtigen Weg sind.
Denn nur das ist es, was wirklich zählt.
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