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Mit
Micha, meinem Freund besonders
für exotische Abenteuer, unternahm ich einen Trip nach Vene-zuela.
Damals unter Präsident Chávez nicht gerade ein "sicheres"
Land, hatten wir uns aber ein kleines Programm zusammengestellt.
Wir kamen am 21.02. in der Hauptstadt Caracas
an und bezogen im Hotel Eurobuilding unser Quartier, nachdem der
erst Teil des Puzzles, der Transfer ab Flugplatz mit unserer Guide
Esperanza, prima geklappt hatte. Für den 22.02. hatten wir
eine Halbtages-tour durch die ca. 5 Millionen Metropole Caracas
geplant. Da Caracas verkehrs-technisch völlig überfordert
ist, gingen wir zu Fuß bzw. fuhren mit der Metro. Etwas wirklich
historisches hier finden zu wollen, ist schwer, denn Caracas ist
durch die ca. alle 50 Jahre wiederkehrenden Erdbeben stark gebeutelt.
Der alte Stadtkern
ist klein und übersichtlich. Überall sieht man Spuren
von dem größten Sohn der Stadt, von Simón
Bolívar. Bolívar führte ab 1810
die südameri-kanische Unabhängigkeits-bewegung gegen die
spanischen Kolonialherren in den heutigen Staaten Venezuela, Kolumbien,
Panamá, Ecuador, Peru und das nach ihm benannte Bolivien
an.
Esperanza sagt uns, dass es
nicht lange her ist, dass solche "Hellhäutigen" wie
wir selbst am Tage hier als "Gringos" mindestens ausgeraubt
worden wären. Wir schlendern auf den stimmungsvollen Haupt-platz
Caracas', dem "Plaza Bolívar". Inmitten des Platzes,
wie sollte es anders sein, steht ein Denkmal von "IHM"
(Foto) . Kämpferisch blickt
Simón Bolívars Reiterstandbild auf die Kathedrale,
den Erzbischöflichen Palast, den "Consejo Municipal"
(das Rathaus), das "Capitolio Nacional" (in dem bedeutende
Venezolaner bestattet sind), die "Gobernación"
(der Sitz der Regierung des Distrikts) und die "Casa Amarilla",
die den Platz umgeben (Fotos).
Esperanza entließ uns am großen Einkaufszentrum Tolon,
von wo aus wir ins Hotel zurücklaufen wollten. Aber weit gefehlt.
Das Wirrwarr der Straßen und die dazu fehlenden Straßennamen
brachten uns zur Verzweiflung.
Plötzlich
waren wir in einem völlig anderen Stadtteil, in San Roman.
Aber irgendwie fanden wir doch noch den Rückweg und quälten
uns in der Nachmittagshitze ins Hotel zurück. Der Samstag war
nur fürs faulenzen verplant. Nebenbei besuchten wir natürlich
die Marathon-messe und holten
unsere Startunterlagen. Entsetzt stellte ich dabei fest, dass unser
Hotel ca. 8 km vom Start und Ziel entfernt war, nicht wie ich eigentlich
gebucht hatte, fast direkt daneben. Aber die Marathon-Expo samt
ihrer Engelchen (Foto)
war Spitze, bemerkenswert für den erst 3. Caracas Marathon.
Es war bald gegen 18 Uhr dunkel und das bedeutete für uns "Ausgehverbot"!
Wir blieben im Hotel, aßen Abendbrot und gingen zeitig zu
Bett. Nachts plötzlich hatte ich mehrmals Schweißausbrüche
und Durchfall. Anfängerrespekt vor einem Marathon? Quatsch,
Junge, aber was ist los?
Marathontag, der 24.02.2013:
Durch 3(!) Wecker und den "Wake up Call" um 4:30 Uhr aus
dem Bett geworfen, trollten sich Micha und ich zur Hotelrezeption.
Geplant mit dem Taxi zum Start zu fahren, stand jedoch noch ein
Marathonbustransfer vor dem Hotel, wir huschten hinein, so ein Glück!
Es war noch dunkel im Parque Los Caobas, dem Startareal, aber was
für ein Gewimmel von Menschen (Foto).
Ich sog diese
geile Atmosphäre von sportlichen Menschenleibern und den tollsten
Gerüchen um sie herum in mich auf, ich war wie aufgedreht.
Ich
war wieder da! Wir hatten noch Zeit, 6 Uhr sollte unser
Start sein, 15 Minuten später der für die "Halben".
Micha (im Foto links neben mir)
blieb ganz cool! Er wollte wegen Trainings-defizites locker ca.
4:15 h laufen, während ich "heiß" war auf ca.
3:50 h. Es war ein großes Starterfeld, hier in Caracas, in
Venezuela, in Latein-amerika, um uns herum insgesamt über
8000 Läufer und davon über 50 Prozent, die
erstmals eine der zwei Strecken in Angriff nahmen
plötzlich,
genau 6 Uhr, der Startschuss.
Schnell ein paar verwackelte Fotos und schon liefen wir in Richtung
Westen. Ich dachte so an einen reichlichen "5 er Schnitt",
den ich laufen wollte. Es war noch immer dunkel, aber schon nach
den ersten 5 km, die ich in
27:34 min durchlief, wurde es schnell hell.
Die Straßen
waren sehr gut abgesperrt, es waren ja auch über 2500 Sicherheitskräfte
an der Strecke.Getränke gab es alle 2 bis 3 km, vorzüglich!
Das war schon Spitze, so hatte ich das
nicht erwartet, einfach toll!
Da Caracas bekanntlich nicht so viele Sehens-würdigkeiten hatte,
gab es so interessantes nicht zu sehen. Also sah ich mir die Menschen
an (Foto) und das wurden einfach
immer mehr am Straßenrand! Die 10
km in 54:15 min durchlaufen, war ich voll im Plan. Micha
war weit hinter mir, schade. Locker schaue ich zu zwei Engelchen
(Foto oben)
rüber. Da, plötzlich, genau bei km 17, ein Schwächeln
im Körper, was ist das? Im gleichen
Moment umschlingen säuselnde Lianen meine Füße und
legen mir so Fußfesseln an. Frotzelnde Dämonen
setzen sich auf meine Schultern.
Ich scheine zu stehen, komme nicht mehr vorwärts. Ich keuche,
will mich losreißen. Wildes Gelächter aus der Unterwelt
um mich herum. Wo ist mein Talisman, meine
Halskette, mein Tutanchamun???
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Aus Sicherheitsgründen
hatte ich ihn in Deutschland gelassen
ich muss jetzt allein
durch, aber es geht nichts mehr. Aus! Vorbei!
Erstmalig lässt mich meine sonst so starke mentale Seite im
Stich, was ist hier nur los, ich versteh die Welt nicht
mehr
"Venga, venga"
lauf, lauf, rufen sie mir
zu, die Zuschauer am Straßenrand entreißen mich der
Hölle. Aber diese wahnsinnige Schwäche bleibt. Nur in
kurzen Momenten nehme ich die monumentale Denkmal-anlage Paseo
Los Próceres bei km 18
wahr (Foto). "Oh, Gringo", What's the matter"? "No,
no Gringo, soy Alleman", kommt es mir trocken über
meine aufgeplatzten Lippen.
Viel zu viel
mit mir zu tun, sah ich kaum etwas um mich herum. Plötzlich
war Micha da. Er kam wie Phönix
aus der Asche, sah mich Häufchen Elend und verabschiedete sich
nach vorn. Ihm zu folgen war unmöglich. Ich brauchte für
die nächsten 5 km nun plötzlich ganze 37 Minuten, unglaublich,
welcher Fluch lastete seit km 17 auf mir? Meine
Qualen zu beschreiben, wäre grauenhaft, ich lasse es lieber.
Ich
weiß nur noch, dass ich Halluzinationen hatte, ich sah immer
öfter Micha vor mir, mal als Läufer, als beuteltragende
Hausfrau, als schimpfender Mann: Bin ich
irre geworden? Ich weiß es nicht mehr, sehe aber
trotzdem schemenhaft ein paar Engelchen
mit sehr ausgeprägten Proportionen vor mir. Sie holen
mich für einen Moment in die Wirklichkeit zurück (Foto).
Und jetzt endlich, da, das 40 km-Schild, wie mir dort ein Lächeln
gelang, weiß ich nicht mehr. Die letzten 5 km bis hier hin
war ich nur noch in genau 40 Minuten getorkelt. Irgendwo muss das
Ziel sein, irgendwann werd ich ankommen und wenn es morgen ist.
"Venga, venga" - rufen wieder die vielen Zuschauer. Gequält
und gedemütigt schleppe ich mich in 4:48:27
h durchs Ziel. Trotzdem mache ich noch ein paar Zielfotos
(Foto) und gehe zum Treff mit
Micha.
Ab in den Bus
und ins Hotel, Duschen und ins Bett. Jetzt finde ich Ruhe. Im nachherein
erkenne ich, dass der 3. Caracas
Marathon eigentlich ein Wahnsinnsevent war, alles war perfekt
organisiert gewesen. Die Strecke war verkehrsfrei, alles asphaltiert,
jede ca. 2 km gab es Getränke, später süßes
Gebäck, liebevolle Zuschauer säumten die Straßen.
Es
fehlte einfach an nichts für die über 8000 Läufer.
Nur leider hab ich davon eben fast nichts mitbekommen
Nach
dem Marathon fast nur im Bett geblieben, war am nächsten morgen
um 4 Uhr wieder zeitiges Wecken angesagt, um den Innlandflug in
die Anden, nach El
Vigia zu chartern. Unsere neue Guide in El Vigia erklärte
uns, was wir alles in den nächsten 4 Tagen in den Anden sehen
würden und so begann für Micha und mich eine sehr interessante
Zeit. In der Hacienda "El Carmen" fanden wir für
einige Momente eine himmlische Ruhe, ehe wir das malerische Andendorf
Jaji besuchten. Nach Übernachtung in unserer Pasada in Mérida,
der Hauptstadt des Bundesstaates Mérida, was geprägt
ist durch seine Tallage im Andenhochland, besuchten wir dort eine
farbenprächtige Markthalle (Foto).
Weiter fuhren
wir in den Nationalpark Sierra
de la Culata (Foto)
und unternahmen in 3000 m Höhe einen angenehmen Spaziergang.
Wieder zurück in Mérida stand eine Stadtinspektion auf
dem Programm, zu sehen u. a. schöne alte Kolonialhäuser
oder die Kathedrale.
Auf dem Weg
zu unserer Pasada tankten wir das Auto auf. Und hier das Unglaubliche:
1 Liter Benzin kostete umgerechnet weniger
als einen Cent, genauer 0,097 Bolivares (also 0,57 Cent).
Damit haben wir für 14,28 Liter 1,39 Bolivares bezahlt, das
sind 8 Cent (!) nach Schwarzmarktpreisen. Um alles aber wieder ins
Lot zu stellen, ein Liter Milch kostet knapp ein Euro
irre!
Nach
der zweiten Nacht in unserer Pasada sollte es nun in die Hochanden
gehen. Faszinierend war u. a. das mit 3140 m höchst gelegene
Andendorf
San Rafael. Dort besuchten wir die bekannte Kapelle, welche
von Juan Félix Sánchez Juan erbaut wurde . Weiter
ging der Weg nach oben über Passstraßen auf über
4000m Höhe! Und dann waren wir am Adlerpass, auf 4118 m Höhe
am Pico El Aguila (Foto). Ein
"Kondolenz-besuch" beim letzten dort lebenden Condor ließen
wir uns nicht nehmen (Foto).
Nach einem Zwischenstopp und einer einstündigen Wanderung im
Nationalpark Richtung Laguna Negra, kamen wir abends nach abenteuerlicher
Fahrt wieder in Mérida an. Am nächsten Tag hieß
es Abschied nehmen von den Anden.
Wir
fuhren wieder nach El Vigia und flogen von dort in einer fürchterlich
unterkühlten kleinen Maschine nach Caracas zurück. In
einem miesen Absteigehotel nahe Caracas übernachtet, trollten
sich Micha und ich nächsten Tages wieder nach Deutschland zurück.
Zu Hause
angekommen, schleppte ich mich zum Notarzt, der dann eine schwere
Angina feststellte. Das also war der Auslöser meines körperlichen
Zusammen-bruchs beim Marathon gewesen
Es war ein erlebnisreicher
Urlaub in Venezuela gewesen. Die Marathonveranstaltung
in Caracas war Spitze, ist ein MUSS für sportliche Abenteurer.
Aber man sollte jetzt die Zeit "nach" Präsident Chávez
beobachten. Caracas selbst ist noch zu gefährlich. Aber wenn
die Zeit reif ist, die Sicherheit für Touristen halbwegs gegeben
ist, sollte man dieses schöne Land unbedingt besuchen.
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