"'Wo sind wir gerade? In Polen oder in Tschechien?' - 'In Slovensko'..."

1. Goral Maraton

15.09.2013

Bericht von Zenon Karczewski


15.9.2013 1. Goral-Marathon . Eigentlich wollte ich im September 2013 wieder einmal den am selben Tag stattfindenden Wroclaw-Marathon laufen. Kurzfristig entschied ich mich aber für diesen Berglauf. Wahrscheinlich aus 2 Gründen - zunächst wollte ich bei einem Naturlauf meine "Knochen" schonen und zum Anderen war es die Gelegenheit, einen weiteren Länderpunkt (Slowakei) zu sammeln und meinen schärfsten Konkurrenten - den "Troll" Mirko - auf Abstand zu halten (>> Statistik). Als Zuschauer und Betreuer kommt meine Mutter mit. Ich muss somit nicht alleine in den Süden Polens fahren. Für sie ist es zudem die Gelegenheit, etwas Neues zu erleben, denn diese Gegend kennen wir beide noch nicht. Der Lauf wird in den Beskiden, in der Nähe des Ortes Wisla (ca. 100 Kilometer von Katowice entfernt) statt finden. Ich freue mich, endlich den Ort kennen zu lernen, wo Adam Malysz wohnt und wo seit einigen Jahren ein Weltcup-Skispringen ausgetragen wird.

Im Ausland wahrscheinlich nur den Skisprung-Fans bekannt, ist Adam oder auch 'Adas' (das "s" wird ganz weich ausgesprochen), wie er nicht nur von mir genannt wird, im "Skisprung-verrückten" Polen ein wahrer Nationalheld. Inzwischen ist er nicht mehr aktiv und sein Schüler und Nachfolger Kamil Stoch ist mit 2 olympischen Goldmedaillen (in Sotchi), einem Welt-meistertitel und dem Weltcup-Gesamtsieg nicht weniger erfolgreich.

Aber Adas bleibt Adas und die Verehrung für ihn wird noch lange andauern. Ich selbst nenne auch Kamil Stoch weiterhin einfach "Adas". Von Dresden bis Wisla sind es ca. 500 Kilometer. Unterwegs hole ich meine Mutter ab und nach einer 2-stündigen Fahrt passieren wir Wisla. Es ist schon ziemlich spät und es nieselt. Für "Adas-Besuch" bleibt uns keine Zeit. Ein paar Kilometer weiter, in dem Ort Istebna, befindet sich unser Hotel. Eine schöne Anlage mit einem Wasserpark und Saunaanlagen, schön gelegen, inmitten einer Berglandschaft. Die Startnummer-Ausgabe findet am nächsten Tag (Samstag) im Dreiländereck also genau in dem Punkt statt, wo die Grenzen der 3 EU-Länder: Polen, Tschechei und Slovakei zusammen laufen. Ein Stein - ein kleiner Obelisk - markiert diese Stelle (Foto). Um zu diesem Trojstyk, wie es auf Polnisch heisst, zu gelangen, müssen wir von einem Parkplatz aus ein paar Hundert Meter auf einem teilweise ziemlich steil bergauf- und -abgehenden Asphaltweg laufen.

Dafür wird man aber mit einem schönen Rundumblick an diesem schönen, spätsommerlichen Tag belohnt. Ich empfange eine Tüte mit einem Goral-Hut (in einfacher Ausführung), einem Abzeichen und weiteren Kleinigkeiten, an die ich mich jetzt gar nicht mehr erinnern kann. "Gorale" (Goralen) ist in allen 3 Ländern die Bezeichnung für die Bewohner der Bergregionen. Gorale haben ihre eigene Kultur: eigene Dialekte, eigene Trachten, eigene Musik, eigene Sitten und Bräuche. Früher gab es unter Ihnen auch oft berühmte Räuber. Diese Tradition wird bis heute gerne (für Touristen) gepflegt (Foto). Es ist Sonntag, der 15.9.2014. Die polnischen Marathon-Teilnehmer treffen sich an der urigen Karczma Ochodzita (Foto), von wo aus sie mit dem Bus zum Start am Trojstyk gefahren werden. Auf dieser Höhe und zu dieser relativ frühen Stunde ist es ziemlich "zugig" und relativ kühl. Ich mache mir Sorgen, ob meine Kleidung passend ist, insbesondere wenn ich die Ausstattung einiger anderer offenbar erfahrener Bergläufer sehe.

Kurzerhand ziehe ich noch eine Schicht an. Nach dem Motto: "Lieber schwitzen als frieren". Am Trojstyk kurz vor dem Start herrscht eine herrliche, ausgelassene Volksfest-stimmung. Räuber-, Schützen- und Volksmusik-Gruppen biete eine schöne Umrahmung und einmalige Foto-Motive (Fotos).

.Auf der festlich geschmückten Grenz-Brücke, exakt am Trojstyk, erfolgt - mit einem Schuss aus Räuberpistolen - der Ehrenstart (Foto). Der scharfe Start findet ca. 100 Meter weiter oben statt (grosses Foto ganz oben). Die Strecke hatte ich mir vor dem Start nicht so genau angesehen. Nach ein paar Kilometern sollen wir die Grenze passieren und in die Tschechische Republik einlaufen. Oder war es die Slowakei? Ich weiss es nicht mehr. Zumal von Grenzen, wie man sie noch aus den "sozialis-tischen Zeiten" in Erinnerung hat, nichts zu sehen ist.

Und an der Schrift, z.B. auf den Ladenschildern oder auf Plakaten kann ich auch nicht erkennen, ob es Tschechisch oder Slowakisch ist. Die Unterhaltung mit den slawischen Nachbarn ist dagegen kein Problem. Ich laufe in einer Gruppe und hier und wieder wechsele ich ein paar Worte mit dem einen oder anderen Läufer. Ich vermute, es sind Slowaken, da sie - neben den Polen auf Platz 2 - die Mehrheit im Teilnehmerfeld darstellen.Sicher bin ich mir aber nicht. Ist auch egal. Die Stimmung ist gut und die Sonne scheint immer noch.

 

Es geht dauernd entweder steil bergauf oder steil bergab. Nach gefühlten 15 Kilometern erreichen wir wieder einen Berggipfel. Dann geht es steil bergab. Ich löse" alle Bremsen" los und lasse mich einfach mit schwindelerregendem Tempo hinuntertreiben (Foto). Viele meiner Begleiter befinden sich auf diesem Abschnitt hinter mir. Im Tal angekommen, bleibe ich erst einmal an einer Verpflegungsstelle stehen, trinke und esse in aller Ruhe. "Sind wir jetzt in Polen oder in der Tschechien?" - frage ich ein junges Mädchen, das die Getränke verteilt (Foto). Sie schaut mich etwas verdutzt an sagt nach einer kurzen Weile - "In Slovensko". Die Szene sorgt für allgemeine Erheiterung. Später erfahre ich, dass der Ort einen nicht gerade leicht auszusprechenden Namen Svrcinovec trägt.

Mit guter Laune laufe ich weiter. Es folgen ca. 200 flache Meter, dann geht es über eine Brücke nach links und steil nach oben. "Via Dolorosa" bzw. "Golgota" nenne ich diesen schier endlosen Anstieg, der wirklich so schmerzhaft ist, wie er heißt. Ich hangle mich von einer Kreuzweg-Station zur nächsten (Foto), bleibe immer wieder stehen und fühle mich fast wie der Jesus selbst auf seinem letzten Weg. Viele Läufer überholen mich und laufen schnell davon. Oben angekommen sehe ich sie nur noch von Weitem (Foto). Ihre Silhouetten werden schnell immer kleiner. Ich muss jetzt alleine laufen. Ich habe keine Ahnung, wo ich genau bin. Irgendwo zwischen Skalite, Vrescovka und Dedovka, wie mir ein Verkehrsschild verrät, aber diese Ortsnamen sagen mir auch nichts. Es folgt der nächste längere Anstieg auf einer kaum von Autos befahrenen Landstrasse. Ein Jungendlicher überholt mich mit seinem Fahrrad. Sonst - auch in Ortschaften - begegne ich kaum Menschen, die Gegend wirkt einsam und verlassen.

Seit Kilometer 20 gab es keine Verpflegungsstelle mehr. Ich bekomme Durst und schimpfe auf den Veranstalter. Erst später werde ich auf der (nicht optimal gestalteten) Internet-Seite des Marathons lesen, dass jeder Läufer verpflichtet sei, eine Wasserflasche mit sich zu führen. Man sollte die Ausschreibung eben genau lesen. Dann sehe ich auf einmal ein Schild auf Polnisch. Hurra, das Ziel kann nicht mehr weit weg sein. Ein paar Minuten später treffe ich ein paar Touristen bzw. Pilze-Suchende und frage sie, wo wir sind. In der Slowakei - antworten sie auf Polnisch - aber die Grenze ist gleich in der Nähe. Wir laufen offenbar an der polnisch-slovakischen Grenze entlang. Ich schätze, dass wir jetzt so bei Kilometer 30 sind. Bei Kilometer 32 kommt endlich eine Verpflegungsstelle, wo ich meinen Durst und Hunger stillen kann.

Bei Skalite unterqueren wir die Bahnstrecke, danach folgt ein mörderisch steiler Anstieg - der Schlimmste von Allen. Dagegen kommt mir die "Via-Dolorosa" jetzt wie ein Trimm-Dich-Pfad vor. Ich verfluche innerlich die Veranstalter, dass sie uns das antun - es muss doch auch im Gebirge weniger steile Wege geben. Eine Läuferin nähert sich von hinten. Ich beschliesse, "Wiederstand zu leisten" und zu kämpfen. Wir quälen uns beide hoch - teils laufend, meistens aber gehend.

Der Abstand bleibt konstant. Endlich geschafft. Vor mir erstreckt sich ein herrliches Panorama aber ich ahne und befürchte, dass die Strasse da drüben, die sich den Berg hinauf-schlängelt ein Teil unserer Strecke wird (Foto).

Und so kommt es auch, wie es kommen musste. Nach mehreren Minuten relativ angenehmen Laufens im offenem Wiesengelände, erreiche ich diese Strasse. Im gleichmässigen Tempo aber schon deutlich angeschlagen quäle ich mich hoch. Hinter mir sind es jetzt 2 Verfolger (Foto). Der erste wird mich bald überholen aber der Attacke der Läuferin hinter ihm (es ist dieselbe, die ich schon erwähnt habe) werde ich auch diesmal stand halten können. Nach dem Anstieg folgt ein angenehmeres Stück - zuerst auf dem Kamm entlang, dann durch den Wald und bergab ins Tal. Wir erreichen den letzten Anstieg auf die Ochodzita (894 m). Es ist nicht mehr weit. Ich habe aber kaum noch Kraft und es ist wieder so steil, dass man fast nur noch gehen kann. Ich drehe mich immer wieder um. Ich spüre regelrecht den Atem meiner Verfolgerin, bin aber fest entschlossen, vor ihr ins Ziel zu kommen.

Endlich! Ich erreiche die höchste Stelle des Berges. Auf dem kurzen Bergab-Stück hinter dem Gipfel lasse ich mich nicht mehr überholen und komme mit etwa 10 Meter Vorsprung ins Ziel. Ich umarme "meine Verfolgerin" mit einer versöhnlichen Geste. Meine Zeit 4:59:19 und ein Platz im Mittelfeld (43. von 82 >> Ergebnisse). Es gibt Verpflegung und eine originelle Medaille. Immerhin bin ich bester Ausländer (was aber bei meinem Namen scheinbar Niemandem auffällt). Es ist ziemlich windig und relativ kühl. Ich ziehe mich um und esse in der Karczma Ochodzita eine herrlich schmeckende, warme Suppe (ein "Zurek" - wie schon in Zbereze - s. >> Bericht), für die jeder Läufer einen Gutschein bekommen hat. Wir fahren in unser Hotel zurück. Ich gehe zunächst noch in den Wasserpark und in die Sauna (Eintritt ist im Startgeld inbegriffen), anschliessend lassen wir uns im Hotel-Restaurant kulinarisch verwöhnen.

Es war ein schöner Lauf, ein (trotz aller Strapazen) herrliches "3-Länder-Erlebnis" und ein schönes Wochenende im Gebirge.

Ach ja - um "Adas" in Wisla zu besuchen, hatten wir auch auf dem Rückweg keine Zeit mehr. Ein Grund mehr, nochmal zum Goral-Marathon zu kommen (2014 wird die 2. Auflage am 15.7. ausgetragen >> Offizielles Video).

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