"Aber morgen schlage ich zu! … doch es kam alles ganz anders"

2. Kazbegi Marathon
10.09.2011


Bericht von Peter Maier

Auf der Marathonmesse in Dresden wurde ich auf ein weiteres exotischen Laufevent weit weg von zu Hause aufmerksam: "Kazbegi Marathon in Georgien". Angeboten von Frank Schulz von "www.schulz-aktiv-reisen.de" war ich nach dem packenden Gespräch mit ihm sofort begeistert. Und die Begeisterung hielt sich über die ganze abenteuerliche Reise, ein einmaliges Erlebnis mit tollen Sportfreunden! Mangels Urlaubstagen wählte ich die Kurzreise vom 06.09.11 bis 12.09.11. Musste ich dadurch an meinem Geburtstag losfliegen, versüßten mir die Stewardessen den Nachtflug. In Tbilisi wurde ich von der jungen zauberhaften Nathia (Foto) abgeholt und in mein "VIP-Hotel" direkt in der Altstadt gelotst.

Nach kurzem Schlaf begann dann Nathia mir am nächsten Tag ihre Stadt Tbilisi schmackhaft zu machen. Und ich war begeistert! Ich war auf der Kurzreise am ersten Tag nur der einzige Gast (die Langvariante der Reise war schon in den Bergen) und umso mehr konnte sich Nathia mir "widmen". Auf engstem Raum hat die Hauptstadt Tbilisi eine Sehenswürdigkeit an der anderen. Wir waren in der Metechi Kirche mit dem Reiterdenkmal von König Wachtang I., dem Gründer der Stadt. Genau um 13 Uhr sind wir am neuen Pantomimetheater mit einem kleinen eigenwilligen Turm (Foto), der mich sehr an den freien Architekten Hundertwasser erinnert . Unser Fahrer Georgie chauffiert uns hoch zur Narikala-Festung. Vorher wage ich noch ein Blick zur Monumentalstatue Mutter "Georgien", sie hält eine Schale Wein für die Freunde in der linken und ein Schwert gegen die Feinde in der rechten Hand. Nun, von den Zinnen der Narikala-Festung hinunterblickend, liegt uns die ganze Stadt Tbilisi zu Füßen (Foto).

Diese ehemals zum Verteidigungswall gehörende Festung hat kriegerisch Perser, Mongolen, Türken, Araber und Russen gesehen, war Kriegsschauplatz, war zerstört und wieder aufgebaut.

Der Abstieg in die Altstadt ging bis zu den Schwefelbädern und dem islamischen Viertel. Später dann auf dem Rustaweli-Prospekt wollte die Dame der Wechselstube mich schwer betrügen, aber gestählt durch die Hilfe von Nathia (Foto) widerstand ich diesem Betrugsversuch. Ich hatte nun ein wenig Zeit zu relaxen. Abends fand das Begrüßungsessen in einer urigen Kneipe statt. Unglaublich viele Gänge an herrlichsten Speisen wurden gereicht. Das erinnert mich an mein MEZE - Essen in Zypern (siehe Bericht auf www.dresdner-trolle.de). Ich beschloss den Abend mit Nathia in der Bar Marrakesch-Express.

"Eh Klaus, bist Du schon wach, in zwei Minuten ist Abfahrt" So oder so ähnlich rief ich am 08.09. früh durch' s Hotel. Irgendwie raunte jemand, "ja, komme gleich". Das war Klaus, mein zweiter Mann der Kurzreise, der einfach noch kürzer da war. Auf dem Weg in Richtung Kaukasus besichtigten wir auf einer Berganhöhe die Dshwari Kirche (Foto) und hatten einer herrlichen Blick nach Mzcheta, der alten Hauptstadt Georgiens.

In Mzcheta steht die Swetizchoweli-Kathedrale, rundherum wird an dieser Stätte alles neu und passend aufgebaut, beides sind Stätten des Unesco-Weltkulturerbes.

Natürlich fuhren wir auch nach Gori, wo das Geburtshaus von Josef Wissarionowitsch Dschugaschwilli, genannt Stalin (Foto), steht. Zu erwähnen ist auch, dass die Stadt Gori vom 9. bis 12. August 2008 im Zusammenhang mit dem georgisch-russischen Konflikt Ziel russischer Luftangriffe war, die auch Opfer unter der Zivilbevölkerung forderten…
Uns führte der Weg vorbei an der ehemaligen Festungs- und Höhlenstadt Uplisziche. Die Wohnhäuser waren vor knapp 3000 Jahren damals aus dem weichen Fels geschlagen worden, hatten Säulen und gewölbte Dächer. Am frühen Abend waren wir an unserem Ziel, der Pension "Komm rein", im Dorf Qumrisziche bei Gudauri, dem bekannten Wintersportort, angekommen.

Ich musste mich von meiner netten Reiseleiterin Nathia verabschieden und Klaus und ich wurden sofort in die "Langreisegruppe" mit Regina, Gundula, Herbert, Chef Frank und Ultraspezialist Stefan Schlett integriert. Als erstes musste ich abends "Gaumatschos" lernen! Das heißt auf Georgisch "Prost"…und dieses Wort (dabei musste man sich ganz tief in die Augen schauen), einschließlich unendlich vieler Trinksprüche sollte ich in den nächsten Tagen oft hören. Der Tag vor dem Marathon wurde schön warm. Wir "Neuen" sollten uns noch ein wenig akklimatisieren und so wurde um geplant und wir fuhren ins Dorf Mleta zur großen Kirche Lomisa. Von dort unten liefen wir so glaub ich bis auf über 2000 Höhenmeter zur kleinen Wallfahrtskirche Lomisa hoch. Ich nutzte die Möglichkeit, in der Kirche "Buße zu tun"…(Foto).

Wieder unten im Tal, ließen wir uns im Dorf Kweschete ein paar Bier und einheimischen Grappa gut munden (Foto - danach im Auto - Herbert mit unseren Grazien)

"Aber morgen schlage ich zu!" Diesen Satz schrieb ich abends nach Hause, denn ich wollte endlich einmal einen Platz machen bei einer Marathonveranstaltung. …in der Nacht kommt die Angst, nein es war schlimmer! Aus unerklärlichen Gründen bekam ich nachts plötzlich extreme Magenkrämpfe, übergab mich mehrfach und hatte totalen Durchfall. Die Übernachtungskosten hätte ich mir sparen können, da ich eh nur auf Toilette war. Meinem Zimmerkumpan Herbert raubte ich auch noch den Schlaf.

09.10.2011 und Marathontag: Entkräftet ging ich zum Frühstück, aber ich war ohne Chance, mein Magen nahm nichts an. Was sollte werden? Aufgeben? Heulen? Mich Weichei schimpfen? Nein! Wir fuhren über die Georgische Heerstraße rüber in das Dorf Kazbegi zum Start. Die Marathonstrecke sollte im Terek-Tal parallel zur georgischen Heerstraße verlaufen und dann kleine Seitentäler bestreichen, um dann als glanzvollen Höhepunkt den Bergtrail zur Gergeti Trinity Church vor sich zu haben… Vor dem Start traf ich Hanno, der die 8 km rennen wollte und auch Jaap, meinen niederländischen Sportfreund. Jaap hatte ähnliches erlebt wie ich die letzte Nacht und so hatten wir schon die Idee eines gemeinsamen Marathonlaufes. Wir starteten bei nur ca. 7 Grad Wärme alle zusammen am Hotel Stapanzminda, mit den 8 km Läufern mehr als 100 Mann.




Die Strecke verlief zuerst auf Feldwegen der dorfabgewandten Seite hinter dem Fluss Terek.

Ich wollte den Frust über die völlig verkorkste letzte Nacht rauslaufen, wurde aber spätestens nach einem Kilometer von meinem Körper zurechtgewiesen:

"Hier und heute ist nichts zu holen, nach der Nacht ist nur Durch-kommen angesagt, vereine dich mit deinem Sportfreund Jaap und höre auf deinen Körper", sagte eine Stimme in mir! Stefan Schlett, der Extrem Athlet (www.stefanschlett.de) und kurz darauf Jaap liefen auf mich auf und gemeinsam liefen wir weiter bis zum Dorf Sioni. Die Halbmara-thonies waren schon längst abgebogen und von einer Anhöhe sahen wir die führenden Marathonläufer zurückkommen, jeder inzwischen für sich allein.

An einem Wehrturm bei km 10 (59.34 min) waren die ersten reizenden Verpflegungsdamen (Foto).

Zum Glück nahm mein Magen die angebotenen Powergels an. Einzelne Einheimische lugten zaghaft hinter den Häusern vor, wohl mit dem fragenden Gedanken, wo diese "Außerirdischen" mit den komischen Nummern auf der Brust wohl herkämen.

Weiter ging es, auch Herbert war schon auf uns aufgelaufen, zum Verpflegungspunkt am Dorf Achkhoti. Dort warteten schon unsere Mädels Regina und Gundula und natürlich Maka (Foto). Heftige Umarmungen und "Alles Gute"-Wünsche begleiteten uns weiter von der Landstraße rechts abbiegend in Richtung Berge. Stefan nahm zwischendurch den "Kampf" Mensch gegen Pferd auf. Die Asphaltstraße endete nach dem Ort Sno und dann folgte ein Erlebnis nach dem anderen. Ich glaub, dieses nun folgende urwüchsige Dorf gibt es selbst auf der Landkarte noch nicht. Es war einmalig! Endlich genoss ich den Lauf. Wir wurden von wilden Sauen mit ihren Ferkeln bedrängt (Foto), Hunde und Katzen irrten zwischen uns hin und her,

Einheimische wollten- später mit Klaus - Selbstgebrannten (Tschatscha) trinken, Kinder beäugten meinen Fotoapparat, was das wohl wäre… ich fühlte mich jetzt einfach so wunderbar.

Aber wir mussten weiter, liefen im Dorf wieder zurück, durch den Ort Sno hindurch und irgendwie verpasste ich den km 25, rechnete aber dann später eine 2.30.03 h aus. Wir kamen wieder am Verpflegungspunkt in Achkhoto raus. Ich nahm mir zwei Powergels und setzte mich langsam hinter Jaap wieder in Trab. Aber plötzlich ging nichts mehr. Die unendlich gerade Asphaltstraße Richtung Kazbegi ohne ein Ende so vor mir zu sehen, nahm mir die letzte Kraft, es war aus! Aber irgendwie machte mir Jaap verständlich, wir machen das, egal was passiert. Ich schleppte mich hinter ihm her, längst am Ende mit meinen Kräften.

Jedes gewonnene Kilometerschild sollte mir Kraft geben, aber es klappte nicht. Irgendwann sagte mal einer, wenn Du nach so einer Tortur in den Spiegel schaust, denkst Du, Dein eigener Großvater schaut Dich an. Zum Glück hatte ich keinen Spiegel dabei und nach Fotos machen war mir gerade überhaupt nicht… Ich wusste, wir mussten dann bei ungefährem Kilometer 33 am Ziel vorbei, sollte ich aussteigen? Hatte ich jemals in nun inzwischen 30 Marathonjahren so einen Gedanken gehabt? Jede kleinste Anhöhe gingen wir nun. Endlich da vorn hörte ich den Zielbereich und da waren Gundula und Regine. Ich schämte mich meinen Tränen nicht. Emotional überwältigt von ihren kraftspendenden Worten und kurz danach denen von Hanno, der seinen 8 km Lauf längst hinter sich hatte, lief ich weiter, blieb an Jaap dran!

Was jetzt kam, war eigentlich die Krone dieses Marathons. Kurzes Foto mit Hanno (Foto) und nun ging es hinauf in die Berge (nächstes Foto). Bisher auf 1700 m über NN gelaufen, sollten wir nun hoch auf 2170 m über NN zur Gergeti Trinity Church. Eigentlich war das das "AUS". Oder doch nicht? Ich hatte zu Hause im Fitnessstudio "Berghochgehen" mit 15 % Steigung ausgiebig geübt und plötzlich erholte ich mich, während Jaap seinerseits nun starke Probleme bekam. Längst hatte uns Stefan und Herbert überholt Ich kam in kurzer Zeit zu Kräften und war wieder voll da. Aber es war mir eine innere Pflicht, mit meinem Freund Jaap das Ding nun zu Ende zu drehen.

Wir gingen hoch bis auf die 2170 m hochgelegene Gergeti Trinity Church. Im Hintergrund sollte der 5034 m hohe Mount Kazbegi thronen, aber das Wetter spielte nicht mit. Ich wollte in die Kirche, aber man strafte mich mit Blicken ob meiner Laufkleidung und den "entblößten" Knien. Ja, ja, sie haben ja recht, also trollte ich mich wieder, machte ein paar Fotos, ging wieder zum wartenden Jaap und von da bei ca. km 39 ging es bei Nebel wieder abwärts. Unser "Chef" Frank Schulz, der seinen Halbmarathon glänzend bewältigt hatte, machte an der "Abfahrt" nun tolle Fotos von uns. Schild Kilometer "40" wartete auf uns und es ging weiter abwärts. Irgendwie kamen wir langsam unten im Dorf Kazbegi an und Arm in Arm liefen Jaap (57. Land) und ich (49. Land) zusammen durchs Ziel. In diesen 5.20.13 h haben wir uns unendlich viel Kraft gegeben!

Stefan (63. Land) und Herbert waren schon lange im Ziel und Klaus (37. Land) kam kurz nach uns rein. Die ganze Veranstaltung war ganz liebevoll und ohne jegliche Pannen organisiert worden.

Dieser Landschafts-marathon war im Nachherein betrachtet einmalig. Geteilt in Strecken aus Straße oder Feldwegen, mit herrlicher Gebirgss-zenen, ist es ein unbedingtes "MUSS" für jeden Exoten unter den Marathonläufern.

Die Siegerehrung aller Teilnehmer mit Urkunde und Medaille war toll (Foto 4643) und den anschließenden Tanz von Helferinnen und Teilnehmern wollten wir nicht enden lassen… Aber alles hat einmal ein Ende. Und so fuhren wir über die georgische Heerstraße wieder in unsere Pension zurück und den nächsten Tag nach Tiblisi. Dort hatten wir wieder warmes Wetter, jeder unserer kleinen Truppe hatte noch ein wenig zu "erledigen" und so trafen wir uns abends wieder zum letzten geselligen Beisammensein…"Gaumatschos" - Prost -mit einem tiefen und intensiven Blick in die Augen. Ich habe auf dieser Reise wieder viele liebe und nette Menschen kennengelernt (Foto), "Viva Georgia & danke! und s

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