"Good Job"
Bericht vom Richmond Marathon 11.11.2006


_________________________Text:_ __Zenon Karczewski (email: zenon.karczewski@dresdner-trolle.de)
Fotos: __Eyck Schwarz, Zenon Karczewski

Richmond/Virginia, Samstag, den 11.11.06, 8:00 Uhr , Broad-Street: Sergeant Smith tritt vor die Läufer, salutiert, presst den Stiel der USA-Fahne an seinen Körper und verharrt in der Habacht-Stellung.

...And the rockets' red glare, the bombs bursting in air,
Gave proof through the night that our flag was still there.
O say, does that Star-Spangled Banner yet wave
O'er the land of the free and the home of the brave?"

- ertönt es aus den Lautsprechern. Die US-Läufer legen alle ihre rechte Hand aufs Herz und lauschen stolz der USA-Nationalhyme. Ich bin auch beeindruckt und vom Pathos dieses Augenblicks dermaßen ergriffen, dass ich jetzt auch am liebsten meine Hand aufs Herz legen würde. Aber welche war das gleich - die linke auf die rechte Seite oder umgehrt? Ich überlege kurz und schaue mich um. Na klar, die rechte Hand muss doch zum Herz auf der linken Seite gehen. Aber irgendwie komme ich mir bei dieser so typisch amerikanischen Geste doch blöd vor und lasse es sein.

Wie Klitschko in der 12. RundeDie Hymne ist zu Ende. Alle applaudieren laut und machen sich wieder warm, bevor es in wenigen Augenblicken auf die 42,2 Kilometer geht. "Warm-machen" ist dabei der falsche Ausdruck, denn die Temperatur mag jetzt schon so bei 15 Grad liegen und es wird noch viel, viel wärmer an diesem schönen, sonnigen Spätherbsttag. Ich stehe direkt hinter der kleinen Gruppe der Spitzenläufer, sozusagen in der ersten Reihe. Das war gar nicht so geplant. Ich habe vor der Startlinie einfach ein Lockerungsläufchen gemacht, bin dann zurückgelaufen und stand plötzlich ganz vorne. Doch mein bescheidenes Ziel heute ist es doch, irgendwie unter 4 Stunden zu bleiben. Ich könnte aber, wenn es sich schon so ergeben hat, eine kleine Show abziehen und die ersten paar Hundert Meter mit der Spitze mitlaufen. Da kann mich Eyck, der sich etwa 200 Meter vor dem Start postiert hat, besser fotografieren. Und dann komme ich vielleicht ins Fernsehen oder auf die Titelseiten der Lokalzeitungen? Der Gedanke ist so albern, dass ich lachen muss. In diesem Moment fällt der Startschuss. Ich renne los als wollte ich das Rennen gewinnen und Cardinalüberhole einige der Stars. 100 m, 200 m, 400 m - ich bin immer noch mit an der Spitze. Wo ist der Eyck? Er soll schnell ein paar Fotos schiessen, lange kann ich dieses Tempo nicht mithalten. Gott sei Dank sehe ich ihn endlich, laufe an ihm vorbei und werde schlagartig langsamer. Immer mehr Läufer ziehen an mir vorbei. Schade, denke ich, wenn ich besser in Form wäre, könnte ich heute einen Super-Platz belegen und sogar meine AK gewinnen. Denn den Meisten geht es hier offenbar gar nicht so sehr um die Zeit sondern vielmehr um den Spass. Ins Ziel kommen ist die Devise, in welcher Zeit ist doch egal. Die ersten Meilen sind absolviert. "Good job", "Great job" oder gar "Excellent job" - höre ich immer wieder. Wir sind jetzt in der Monument Avenue. Hier wohnt Holger, mein Kollege aus Dresden, der z.Z. in dem amerikanischen Teil unserer Firma in Richmond arbeitet. Er wollte eventuell an die Strecke kommen. Ich schaue nach ihm aber wahrscheinlich war es ihm doch zu früh zum Sonnabendmorgen, denn ich kann ihn nirgends sehen. Die Gegend mit den typisch amerikanischen Villen und viel Grünem, das jetzt in der strahlenden Herbstsonne gelb, rot, orange und braun leuchtet, ist sehr hübsch. Wir biegen in die Westmorland Ave. ein. Hier gefällt es mir noch besser. Hübsche Häuschen, schöne Gärten, breite Spielstrassen und wieder die vielen, bunten Herbstfarben. Schade, dass ich keine Kamera mithabe, um diese Bilder festzuhalten. Das Zentrum von Richmond, die sog. Down Town ist eher unattraktiv und bietet nur wenige Sehenswürdigkeiten (>> Virginia is for Lovers). Hier würde es sich aber schon eher leben lassen. Ich laufe immer noch locker und bin mir zu dieser Zeit absolut sicher, dass ich die 4 Stunden problemlos schaffe. Schliesslich hat es bis jetzt immer, auch aus der "Kalten" geklappt. Seit meinem Rennradunfall im August komme ich nur sehr schwer in Tritt und habe wenig trainiert. Wäre auch nicht auf die Idee gekommen, jetzt einen Marathon zu laufen. Aber wenn ich hier dienstlich Down Townbin und es wird gerade während dieser Zeit ein Marathon ausgetragen, dann muss ich ihn doch "mitnehmen". Koste es, was es wolle. Damit meine ich mehr meine Gesundheit, auch wenn die 85 Dollar Startgebühr nicht gerade wenig waren. Wir sind jetzt bei Meile 7. An einer Kurve stehen wieder viele Zuschauer und jubeln uns zu. "Great job" - höre ich wieder, "Keep on" oder "Looking good". An mir kommt ein japanisch aussehender Läufer vorbei. Die Fans jubeln und zeigen auf seine Füsse. Der Bursche läuft barfuss und scheint sich dabei sogar wohl zu fühlen. Ganz im Gegensatz zu mir. Ich habe bei meinem 61. Marathon einen Anfängerfehler gemacht (!) und ganz neue, erst gestern gekaufte Socken angezogen. Inzwischen habe ich Blasen an beiden Füssen, die mir immer mehr zu schaffen machen. Was tun? Ich halte an, ziehe kurzerhand die Socken aus und schmeisse sie weg. Jetzt geht es besser. Mal sehen, ob ich es bis ins Ziel durchhalte. Wir laufen jetzt am James River (Foto unten) entlang. Der Fluss ist viel breiter als die Elbe bei Dresden und auch viel wilder mit den zahlreichen kleinen Inseln, Felsen, Bäumen und dichten Sträuchern an beiden Ufern. Wir durchlaufen jetzt so eine Art Naturschutzgebiet. Ich sehe hier u.a. viele Vögel. Die meisten sind mir unbekannt, denn sie haben mit ihren Artgenossen in Europa wenig zu tun. Nur den roten Cardinal - das Wahrzeichen von Virginia - kenne ich inzwischen ganz gut. In der vergangenen Woche konnte ich ihn oft sehen und auch mehrere gute Fotos von ihm machen (s. oben).

Kurz vor dem Start

Wir laufen jetzt durch eine recht feine Gegend, die Grundstücke sind hier grösser und die Häuser prunkvoller. Auf der linken Seite sehe ich einen Golfplatz. 10 Meilen sind geschafft, mir geht es immer noch ganz gut. Ich lese die vielen lustigen Plakate am Strassenrand und schaue mir die hübschen Mädels (Foto) an. Es gibt überall viele Zuschauer, die Stimmung ist prächtig und ich höre immer wieder : "Looking good", "You can do it", "Keep on" aber vor allem: "Good job". Ich bin so richtig stolz, dass ich heute einen so guten Job mache. Nette ZuschauerinnenHalbmarathon ist geschafft (in 1:57:22), meine Beine werden langsam schwer. "Kein Problem" - sage ich mir - "you are making a good job". Jetzt kommt die Huguenot- Bridge, vor uns liegt die Down Town mit ihren Wolkenkratzern. Nur noch 10 Meilen (zur Erinnerung: 1 Meile = 1,6 km, Marathon = 26,4 Meilen) - tröste ich mich, aber so wirklich gut geht es mir nicht mehr. Dazu noch die Hitze, inzwischen sind es ca. 25 Grad geworden und die Sonne brennt mir auf die "Birne". Ich haße das und normalerweise setze ich immer eine Mütze auf, aber diesmal habe ich sie vergessen (wie mit den Socken ...). Auf einmal entdecke ich Eyck, der mit der Kamera auf der Brücke steht und mit dem 300mm-Teleobjektiv offenbar schon mehrere Fotos von mir geschossen hat. Oheh, da sehe ich bestimmt nicht gut aus. Später wird er mir erzählen, dass er den Eindruck hatte, ich würde meine Beine kaum noch hochkriegen können. Dieser Eindruck hat ihn ganz und gar nicht getäuscht. Ich laufe weiter. "Great job", "good job", "looking good" - überall gibt es viele freundliche Zuschauer, die uns anfeuern. Die Veranstalter werben mit dem Slogan "Americas frendliest marahton". Das kann ich hier nur bestätigen, auch wenn es nach Boston erst mein 2. Marathon in den USA war. Aber freundlicher geht es kaum noch. Auch an den Verpflegungsstellen kann man nichts aussetzten. Bei der Hitze brauche ich ohnehin nur Wasser und davon gibt es überall genug. Auch von Gatorade, das ich aber wegen eventueller Magenprobleme lieber nicht trinke. "Beer" - höre ich auf einmal, das könnte so zwischen Meile 20 und 22 gewesen sein. Was, habt ihr wirklich Bier? - frage ich etwas skeptisch - richtiges Bier, "with alcohol"? "Yees" - sagt ein freundlicher Junge und reicht mir einen Becher. Ich reisse ihm gleich auch den Stramme Mädels vor mirZweiten aus der anderen Hand und trinke gierig. Zu diesem Zeitpunkt bin ich schon ziemlich k.o. "Yourfrstmason"? - fragt er und grinst übers ganze Gesicht "Sorry"? - frage ich. Ich habe kein Wort verstanden. "Your first marathon?" -fragt er nochmal, diesmal etwas deutlicher. No, no - antworte ich, das ist mein 61. Was? "Hey Leute" - schreit er ganz laut voller Begeisterung - "dieser "Guy" läuft heute seinen 61. Marathon". Hunderte von Augen schauen mich an, die freundlichen Amerikaner klatschen und jubeln als wäre ich ein Football-Star oder mindestens Lance Amstrong persönlich. Ich reisse die Arme hoch wie Erik Zabel im Ziel von Mailand-San Remo und grüsse alle um mich herum. Aber eigentlich ist es mir nur ziemlich peinlich, denn wie es aussieht werde ich heute nicht einmal unter 4 Stunden kommen. Also nichts wie weg hier. Schade, ich hätte so gerne, den einen oder anderen Becher Bier noch getrunken. Die Beine werden immer schwerer. Ich habe keine Lust mehr, muss immer wieder anhalten und dann ein Stück gehen. Eine oragenfarbene Mütze liegt auf der Strasse. Jemand muss sie verloren haben. Ich hebe sie auf und setze sie mir auf. Wenigstens brennt mir jetzt die Sonne nicht mehr so auf den Kopf. An die letzten Kilometer kann ich mich kaum noch erinneren. Ich will jetzt nur noch irgendwie und irgendwann ins Ziel kommen."Good job" und "Looking good" - höre ich jetzt fast ununterbrochen, bin aber sicher, dass Beides nicht mehr stimmt. "Es ist nicht mehr weit, noch ein Anstieg und dann geht es nur noch bergab ins Ziel" - ruft mir Jemand zu. Hinter dem Berg sehe ich tatsächlich das Zielband. Vom Weiten erkenne ich Eyck, der Fotos macht. "Du sahst dort aus wie Wladimir Klitschko in der 12 Runde (Foto links oben) - wird er mir später erzählen . Egal. Auch, wenn mich auf den letzten Metern noch einige eher nicht so gut durchtrainierte Läufer und Läuferinenn überholen (Foto oben) , freue ich mich wie der Sieger. Endlich geschafft - nach 4:12:23 überquere ich die Ziellinie und nehme die schöne Medaille (Foto) in Empfang. Jetzt noch etwas essen (davon gibt es hier reichlich im Zielbereich), schnell duschen und dann geht es ab zum Flughafen. Die Dienstreise ist zu Ende. Nach 18 Stunden werden wir wieder in Dresden sein. Ein Tag Washington , 5 anstrengende Tage in der Firma und zum Schluss der Marathon. "Good Job!"

 


 
Der Start
Am James-River
Nach 16 Meilen
Hinunter zum Ziel
In Washington
 
 

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