"... mein Auto stand noch da"

Riesengebirgsmarathon 2011
06.08.2011


Bericht von Mario Renner

Autor Mario RennerProlog Marathon auf dem Kamm des Riesen-gebirges. Über 1600 Hm auf dem "Freund-schaftsweg" vom Reifträger zur Schneekoppe (Foto rechts) und wieder zurück. Warum tut man sich das auf die alten Tage noch an? Dazu noch das schindige Bergtraining mitten im Sommer? - Weil eben dieser Freund-schaftsweg in früheren Zeiten für uns DDR-Deutsche gesperrt war! Zwei Mal haben mich die Grenzer herunter-gepflückt: "Du deitsch, du hier nix!". So weit ging damals die Freundschaft doch nicht. Wir haben dann eben abseits davon im Riesengebirge schöne Zeiten gehabt. Ich (Foto links) wollte also diesmal nicht die Freundschaft nach-holen, sondern noch einmal Eindrücke vom herrlichsten Teil des Riesengebirges mitnehmen. Die Anmeldung und die Vorbereitung auf den Marathon war nicht ganz einfach. Die Ausschreibung gab es nur in polnisch und so musste ich schon mal Zenons Hilfe in Anspruch nehmen. Die Polen waren bei diesem Lauf bisher immer unter sich und die Handvoll Ausländer galten als Exoten. Dann fand ich aber doch noch eine Ansprechpartnerin (Magda) im Org-Büro, die meine Fragen in Deutsch beantworten konnte. Mit Ihrer Hilfe sollte ich auch noch eine Übernachtung in der Reifträgerbaude (eigentlich offiziell ausgebucht) bekommen.

ReifträgerbaudeAnreise, Aufstieg und Baude Da ich keinen Urlaub vorgesehen hatte war irgendwann klar, dass Freitag Nachmittag die letzte Seilbahn 16°° ohne mich zum Reifträger fahren würde. Das bedeutete einen längeren Fußmarsch mit gut 650 Hm für mich. Eine ganze Weile konnte ich mich nicht entscheiden, ob vom tschechischen Harrachsdorf über Mummeltal und Wossecker-Baude oder vom polnischen Schreiberhau über Zackelfall und Neue Schlesische Baude (kürzer, aber steiler). Die Entscheidung fiel dann doch für Schreiberhau wegen der Hoffnung, wenigstens runter den Lift benutzen zu können. Am Vorabend hatte ich mir noch ein paar Worte in der Landessprache besorgt, um nicht ganz wortlos da zu stehen.Je näher der Tag der Fahrt kam, desto skeptischer wurde ich: Das Wetter spielte verrückt und auch für das Wochenende waren Regen und Gewitter vorausgesagt. (Letztes Jahr gab es oben Wolkenbrüche und der Lauf wurde auf die Hälfte verkürzt). In Dresden standen mittags dunkle Wolken am Himmel und es war schwül. Bei der Reise gen Osten entkam ich aber zunächst der Wolkenwand.

ZackefallDie Anreise verlief unproblematisch und so stand mein Fahrzeug nach gut 3 Stunden in Schreiberhau auf einem Parkplatz am Lift. Das kostete mich gleich mal 30 Zl cash auf die Hand. Aber dafür würde man gut aufpassen. Dann also einen leichten Rucksack gepackt, die Trecking-stöcke gegriffen und los ging der Aufstieg. Von unten konnte man die Reifträgerbaude gut sehen. Da wollte ich also hin. Laut Zeitangaben sollte der Aufstieg ungefähr 2 Stunden dauern. Zunächst ging es moderat durch den Wald. Der direkte Weg bis auf den Kamm ist als Fahrstraße für gelände-gängige Fahrzeuge ausgebaut, zunächst mit Feldsteinen, später mit Straßenplatten. Der letzte Kilometer vor dem Zackelfall war recht steil auf Wackersteinen zu gehen, hier waren die Stöcke schon von Vorteil. Leider war der Zugang zur Klamm am Zackelfall schon geschlossen, so dass ich das Ganze nur aus halber Höhe fotografieren konnte. Sah aber wundervoll aus.

Nun durchschritt man das Nationalparktor. Die Kasse war schon nicht mehr besetzt. Jetzt folgten noch steilere Wegabschnitte, welche endlich weitere Höhenmeter brachten. Nach einer Stunde Wegzeit war ich dann schon an der Neuen Schlesischen Baude (1190 m, 1887 erbaut, 1976 abgebrannt, 1976 wieder eröffnet) und der Reifträger war wesentlich näher gerückt.Aber noch hatte ich ja einige Höhenmeter vor mir. Es dauerte noch eine knappe halbe Stunde bis ich am Eingang der Reifträgerbaude (1362 m, 1922 erbaut, 1968 abgebrannt, 1992 als erste private Baude in Polen wiedereröffnet) stand.

Neue schlesische Baude

Dort fand ich auch gleich das Marathonbüro und die deutsch sprechende Magda. Die Abholung der Startunterlagen verlief unproblematisch und sie übergab mir auch gleich den Schlüssel für mein Zimmer (Nachher bezahlte ich für die eine Nacht 50 Zl).

Dass ich nicht ganz so spät oben war hatte noch einen anderen Vorteil: Die Baude ist eher spartanisch organisiert. Zur Versorgung gibt es einen Kiosk, welcher nur von 8°° bis 20°° geöffnet ist. So konnte ich wenigstens noch Bier verkosten. Da hatte ich gleich ein Erlebnis: Ich wollte meine Sprach-kenntnisse erproben und bestellte Bier (es gab Flaschenbier). Zur Antwort wurden 4 Biersorten aufgezählt, deren Aussprache anders als der Aufdruck auf dem Etikett war. Nach einigem hin und her habe ich dann auf ein Etikett gezeigt (ZUBR) und bin mit dem Bier ganz gut gefahren. Da sich der Himmel am Abend noch einmal auf zog, hatte man einen herrlichen Weitblick über Riesen- und Isergebirgskamm. In der Ferne stand sogar ein Regenbogen.

Regenbogen

Wie einige andere auch ging ich die paar Meter bis zu den Sausteinen, um mir das Felsgebilde näher anzusehen. Morgen würde ich dazu keine Zeit haben. (Es ist eine Besonderheit des Riesengebirges, dass man in Kammnähe auf Felsgebilde trifft, die wie gestapelte Steinquader aussehen. Auch beim Lauf würden wir an vielen Gebilden vorbei kommen. Die Sage behauptet, dass Rübezahl sie dahin geworfen hat.)

Wenn man längere Zeit draußen war spürte man inzwischen, wie ständig der Wind über den Kamm pfiff. Irgendwann wurde dann die für 22°° verordnete Nachtruhe eingehalten und alle zogen sich auf ihre Zimmer zurück. Mein Zimmer war klein, es gingen gerade Bett, Tisch, Stuhl und Nachttisch hinein. Die Fenster waren neu (Thermoscheiben). Aus dem Fenster hatte ich einen herrlichen Ausblick über den Kamm zum Hohen Rad. Dann packte auch ich mich hin. Mal sehen wie mir der Aufstieg morgen in den Knochen stecken wird...

Mario (links) und MirkoLauf Nach einer mittelmäßig durch-schlafenen Nach stand ich gegen 7°° auf. Der Blick aus dem Fenster sah eigentlich gut aus: Es war leicht bewölkt, ab und zu ließ sich die Sonne blicken. Es blies aber nach wie vor dieser Wind. Bis zur Öffnung des Kiosks konnte ich es gemütlich angehen lassen. Viele Polen hatten eigenes Essen mit und frühstückten schon. Ich war mit einigen anderen noch ein bisschen draußen, genoss den Rundblick und stellte mit Freude fest, dass es in der Nacht nicht sehr abgekühlt hatte. Damit war die Kleiderfrage schon gelöst. Als ich dann 10 vor 8°° in die Kantine kam hatte sich hier inzwischen eine Schlange gebildet. Da jedes Essen einzeln zubereitet wurde dauerte das Ganze natürlich. Es gab: Rührei mit Brot, Suppe, fette Würste, Müsli mit Milch, Brot mit Butter und Marmelade. Ich entschied mich für Letzteres und Kaffee (Kafa). So ca. 1 h vor dem Start frühstückte ich also. Das ist sonst nicht meine Art. Aber was soll es?

Der Start sollte 9.30 vor der Baude sein. Auf Grund der engen, gefährlichen Wege waren nur 400 Läufer zugelassen und es wurde in 4 Gruppen gestartet. Ich trug die Start-Nr. 99 und würde in der ersten Gruppe starten. Der Start verzögerte sich aber, weil noch Fotos mit allen Teilnehmern gemacht werden sollten. Inzwischen traf ich auch Mirko Leffler (im Foto nebe mir rechts), der heute aus Prag angereist war. Dann ging es endlich los: Zunächst 300m steil bergab, dann nach einem Linksschwenk an den Sausteinen vorbei weiter hinab bis zu den Quarksteinen (Pass zur Wosseckerbaude in der Tschechei).

Der erste Kilometer war damit ganz easy. Jetzt war es aber mit dem entspannten Laufen vorbei. Es ging die nächsten 4 km mehr oder weniger steil bergan, immer auf einem breiten Weg a la Rennsteig über die Veilchenspitze (mit Ausblick zur tschechischen Elbfallbaude) bis hin zur Rübezahlkanzel (Wetterstation). Hier hatte man herrliche Tiefblicke zu den Schneegruben auf polnischer Seite. Ab jetzt konnte man weniger von der Landschaft mitnehmen, denn die volle Konzentration musste dem Weg gelten. Wir befanden uns nun auf alpinen Pfaden, wie ich sie selbst beim Swiss Alpine nicht erlebt hatte

. Die Steine aller Größen standen kreuz und quer, man musste springen oder seitlich ausweichen, manchmal wackelten die Steine unter dem Fuß bedrohlich. Mehrfach entging ich nur knapp einem Sturz. So musste man auch Peterbaudebergab das Tempo rausnehmen. Später wird mir ein Läufer erzählen, dass ein Teilnehmer mit Brüchen von der Bergwacht ausgeflogen werden musste. Insbesondere der Abstieg am Hohen Rad, der Aufstieg zur Großen Sturmhaube und deren Abstieg über Mann- und Mädelfelsen waren solche Knochenbrecherstrecken. Zwischendurch gab es 5-minütige Schauer. Das machte die Steine noch rutschiger. Aber die nachfolgende Sonne trocknete alles rasch wieder. Dann erreichten wir die Ruinen der Peterbaude (Foto). Diese musste kürzlich erst abgebrannt sein, denn es roch noch verkohlt. Hier waren viele Wanderer unterwegs, denn mehrere Wege führten von beiden Seiten auf den Kamm.

Die nächsten 2 km ging es auf breiter Fahrstraße teilweise sehr steil bergab zum Spindlerpass. Das ist der zentrale Punkt auf dem Kamm, man kann von beiden Seiten bis hoch fahren. Die Parkplätze waren voll, die Spindlerbaude gut besucht und überall Wanderer. Für uns aber war die erste Verpflegungsstelle bei km 11,5 in Sicht. Bis hierher hatte man schon einiges an Flüssigkeit und Kalorien verbraucht. Man war also gut beraten, Flüssigkeit und Energieriegel mitzuführen. Es gab ja auch nur noch eine Verpflegungsstelle am Schlesierhaus unterhalb der Schneekoppe (km 19,5). Also erst einmal so gut es ging die Tanks mit Wasser, Sportgetränk und Keksen aufgefüllt. - Ich vergaß zu erwähnen, dass man uns mit der Startnummer einen Chip ausgegeben hatte, der am Fuß zu befestigen war. Man hatte an verschieden Stellen im Gebirge Zeitmatten ausgelegt und hier war die erste Registrierung.

Beim nun folgenden Anstieg auf die Kleine Sturmhaube war auch nicht an Laufen zu denken. Auf 1,2 km waren gleich 200 Hm zu überwinden. Weiter oben ging dann die nächste Knochenbrecherstrecke los, wo man selbst auf den nicht so steilen Abschnitten sehr vorsichtig laufen musste und Gehstücke einschob. Erst unterhalb des Mittagsberges konnte man wieder zügig laufen und auch ein bisschen von der Landschaft aufnehmen. Endlich war mal die Schneekoppe zu sehen. Sie war aber ab und zu im Nebel. Zuerst blickte man in den Kessel vom großen Teich, dann in den Kessel vom Kleinen Teich mit der wunderschönen Teichbaude.

Teichbaude

Dann querten wir ein Hochmoor auf einem Lattenweg. Anschließend ging es immer auf und ab am Koppenplan vorbei zum Schlesierhaus. Bei km 18 kamen mir die ersten Läufer entgegen, bis zur Verpflegung an der Baude waren es vielleicht 10 Läufer. Hier am Schlesierhaus war viel los, weil mehrere Wanderwege ankommen. Auch an der Schneekoppe war schon das Gewimmel der Wanderer zu erkennen. Zunächst aber erst einmal Getränke genommen und Kekse gegessen und, erst laufend, dann schnell gehend, durchgeschlängelt.

Zum Aufstieg war der Kettenweg mit mehreren Serpentinen vorgesehen. Obwohl ein ganz schöner Wind blies, lief der Schweiß aus allen Poren. Immer weiter, immer weiter. Die gut 200 Hm wollten erst einmal genommen sein. An den Wanderern vorbei. Endlich oben. Hier war auch eine Matte ausgerollt. 2.35 für Halbmarathon, da wird es nichts mit einer Zeit unter 5h. Sicht war gerade mal überhaupt keine. Also nicht lange aufgehalten und auf der anderen Seite über die breite Straße hinunter zum Schlesierhaus.

Das lief sich gut und man konnte es endlich rollen lassen. Nach der Verpflegung kamen mir einige Anstiege schon heftig vor, so hatte ich sie vom Hinweg gar nicht in Erinnerung (Das waren die Stellen, an denen mir die Ersten entgegen kamen und einige von ihnen gingen). Am Abzweig der Teichbaude hatte sich inzwischen die Bergwacht postiert. Kurz danach traf ich Mirko, der sich schon 2x hingepackt hatte. Wir machten ein paar Fotos und wünschten uns guten Weiterweg. Ja und dann folgte wieder die Knochenbrecherstrecke am Kleinen Rad und an der Kleinen Sturmhaube. Das war in der anderen Richtung auch nicht besser. Ständig musste man aufpassen, zumal einige kurze Schauer die Bodenhaftung noch verschlechterten. Den Steilabstieg zum Spindlerpass habe ich jedenfalls stolpernd im Laufschritt zurückgelegt. Endlich Verpflegungsstelle, Registrierung. Nur noch gut 11 km. Die hatten es aber immer noch in sich. Bis zur Peterbaude auf breiter Straße. Es waren wieder 150 Hm zu machen und bei einem langen Steilstück konnte man nur schnell gehen.

Oberhalb ging dann wieder die nächste Knochenbrecherstrecke los, doch ich fand immer wieder längere Abschnitte wo ich laufen konnte. Ich denke, auf den letzten 10 km habe ich weit mehr als 30 Läufer überholt. Zwischendurch kam mal kurz Nebel auf, der wurde jedoch von Wind wieder weggeblasen. Inzwischen war auch der Reifträger wieder im Blickfeld. An der Rübezahlkanzel war eine Wasserstelle eingerichtet. Die kam gerade richtig. Ab hier liefen wir die letzten 5 km wieder auf breiter Piste, zunächst 4 km mehr oder weniger steil bergab. Und dann der letzte Kilometer: Auf halber Höhe die Sausteine, weiter oben die Reifträgerbaude.

Der letzte Kilometer

Die Anstiege erschienen riesig. Hier hatte ich zu einem polnischen Läufer aufgeschlossen. Wir spornten uns gegenseitig an. Zunächst gehend, dann laufend. Oben stehen die Paparazzi, meinte er. Und dann bogen wir in den Weg zum Reifträger ein. Die letzten 100 m waren so steil (für mich), dass ich erst mal noch ein paar Gehschritte einschieben musste. Die letzten 50 m haben wir uns aber alle noch einmal aufgerafft und sind in das Ziel an der Reifträgerbaude gelaufen. Nach 5:14,02 war ich wieder da (Platz 133). Der Sieger brauchte 3:28,19, die erste Frau war nach 4:10,43 im Ziel.

Es gab eine interessante Medaille und eine Trinkflasche als Souvenir. Auf den Steinen saßen viele Finisher mit zufriedenen Gesichtern. Einige sprachen mich an und wir haben uns englisch unterhalten. Da doch ein ganz schöner Wind ging habe ich nach einer Weile meine Klamotten gesucht und in der Baude geduscht. (Duschen war laut Veranstalter nicht vorgesehen, aber viele haben es trotzdem gemacht.) Dann begann die Schlacht am Kiosk: An der Startnummer hing eine Verpflegungs-marke, die dort einzulösen war. Es gab dafür 2 Eierkuchen mit Heidelbeeren und Vanillesoße. Das hat zwar lecker geschmeckt, aber man musste ewig warten und der Hunger hielt an. Der Raum war inzwischen rammelvoll und Sitzgelegenheiten blieben rar. Irgendwann klappte auch das. Ja und dann holte ich mir ein Bier und ging nochmals zum Ziel, um auf Mirko zu warten. Es war zwar sonnig, aber der Wind pfiff ganz schön. Die Läufer kamen immer noch einzeln ins Ziel. Dann tauchte Mirko mit noch einem Läufer auf. Ich feuerte sie an. Leider wurde es nichts mit einem Zielfoto für Mirko, weil in der Sonne auf meinem Display nichts zu erkennen war. Dafür war mein Finger im Bild. Trotzdem gab es großen Jubel und wir gingen dann gleich ins Warme.

Abstieg und Rückfahrt
Der Abstieg war problemlos, weil er zur Abfahrt wurde. Wegen des Marathons fuhr der Lift heute bis 18°°. Eine halbe Stunde vorher brachen wir auf. Erstaunlicherweise ging es bergab noch ganz gut. Mit dem Lift fuhren alle Marathonis ohne Bezahlung runter, so wir auch. Damit waren wir kurz nach 18°° wieder unten. Mein Auto stand noch da. An einem Kiosk wurde ich von einigen polnischen Marathonis angesprochen. So setzte ich mich dazu, aß Ofenkartoffel, trank Kaffee und habe noch ein bisschen mit ihnen gequatscht. Alles entspannt in der Abendsonne. Irgendwann ging es dann zurück ...

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