"Der Bärentöter peitscht den Obertroll"
19. Riga Marathon

Ein Bericht von Peter Maier

Text und Fotos: Peter.Maier@dresdner-trolle.de

Mein Freund "Tiger" Micha und ich waren wieder auf Marathontour.
Diesmal flogen wir am 15.05.09 nach Riga, wo ich mir den 39. Länderpunkt beim 75. Marathon und Micha eine neue Bestzeit abholen wollten. Die Reise beim Marathonveranstalter "LaufKultTour" gebucht, waren wir guter Dinge,checkten im Hotel Bruninieks ein und tasteten uns bei einem ersten Spaziergang in die Altstadt von Riga vor. Inzwischen waren Sonja, die natürliche und liebenswerte Chefin von "LaufKultTour" (www.laufkulttour.de) und ihr Mann Martin, ein Pfundskerl, in Riga eingetroffen und wir nahmen ein ordentliches Abendbrot in einer Kneipe nahe dem Hotel ein. Die beiden kannten Riga schon und so profitierten wir davon.

Ich lernte mein sofort liebgewonnenes Bier "Lacplesis", das Bärentöter-Bier, kennen. Ich glaube, das Bier trank einst der legendäre Held Lacplesis. Von ihm erzählt ein episches Gedicht von Andrejs Pumpurs, einem lettischen Dichter. Er schrieb es zwischen 1872 und 1887 auf der Grundlage lettischer Mythen und Legenden. Lacplesis gilt als lettisches Nationalenepos: Er wurde von den Göttern auserwählt, der Held seines Volkes zu sein. Sein Name bedeutet "Bärentöter". Als junger Mann, Adoptivsohn des Herrn von Lielvcrde, tötete er einen Bären, in dem er ihm mit bloßen Händen den Unterkiefer abriss. In Lettland wird jedes Jahr am 11. November der Lacplesiss Tag (Lettisch: Lacpleša Diena) gefeiert.

Wieder im Hotel angekommen, fielen wir in einen tiefen Schlaf. Micha hoffte auf das Verschwinden seiner Erkältung und ich träumte von der Kraft Lacplesis. Am Vormarathontag trafen wir vier uns mit Leila, die Sonja für unseren Stadtrundgang organisiert hatte. Sie sprach sehr gut deutsch. Imposant ist Riga mit seinen ca. 750.000 Einwohnern, hat alle Attribute einer Großstadt: ausladende, mehrspurige Straßen, ein breiter Fluss mit gewaltigen Brücken, fünfstöckige Mietskasernen, hohe Preise und Verkehrschaos. Riga war einflussreiche Hansestadt und das Zentrum des Ordensstaates. Die Spuren des langen Vorhandenseins der Deutschen sind nicht zu übersehen. Ende des 19. Jahrhunderts dehnte sich die Stadt stark aus, es entstand ein sagenhaftes Jugendstil-Ensemble. Allen voran der russischen Architekt Michail Eisenstein (1867-1921) zauberte tolle Fassaden und Wohnblöcke in die Innenstadt. All das zeigte uns Leila, der Höhepunkt war Punkt 12 Uhr in Rigas Dom: ein Orgelkonzert gespielt von Ilze Reine, mit Stücken von Clarce, J.S. Bach und Boelmann. Ich dachte beim Zuhören des Stückes "Ave Maria" von J.S. Bach an die Zeit vor über 35 Jahren, wo ich einst selbst dieses Stück auf dem Klavier gespielt habe.

Nach einer gewissen Ruhephase im Hotel eilten wir zur Expo, wo wir unspektakulär unsere Startunterlagen abholten. Nicht zu viel versprochen hatte uns Sonja mit der nun folgenden Pastaparty! Sie war im Hotel Latvija im Restaurant "Esplanada". Es war das mit Abstand stärkste Angebot aller Pastapartys, die ich bisher erlebt habe! Ein Essen, was ein 5 Sterne Hotel vor Neid erblassen lässt. Und selbst der Chef des Riga-Marathons wechselte selbst ein paar Wort mit uns. Den Abend ließen wir im gleichen Hotel in der Dachbar, wo man eine tolle Rundsicht auf die Stadt hatte, ausklingen.

Mein 75. Marathon: Zusammen mit Sonja und Martin gehen Micha (Foto) und ich entspannt (kann man das überhaupt vor einem Marathon?) zum breitflächigen Start auf der Straße des 11. November ("Aha, da ist doch wieder der Tag des L??pl?sis …!) neben dem Fluss Daugava. 12 Grad Celsius sind es nur, schweinekalt für mich… 9.50 Uhr: Start! Wir lösen uns bald von Sonja und Martin, die den "halben Kanten" vor sich haben. Aber ich weiß, Micha wird bald nach vorn stürmen, hat er die Erkältung überwunden? Vor uns stehen 2 Runden, teils mit Kopfsteinpflaster…aber sei`s drum, hier wird nicht gemurrt! Micha ist fort, nach 3 km habe ich noch einen 5 er Schnitt. Irrsinn, viel zu schnell!

Tempo rausnehmen! "Alter, sag ich mir, dein biss`l Training lässt das nicht zu!" "Geht nicht, zu viel Bärentöter getrunken, sagt eine andere Stimme." Es läuft aber wie geölt. Plötzlich feuert mich Martin an, der irgendwie auf der anderen Seite entgegenkommt, ist der denn hinter oder vor mir? Keine Zeit zum Überlegen! Selbst bei km 10 bin ich trotz Tempo Rausnehmens noch viel zu schnell mit 50.27 min anstatt der geplanten 54 min…! Oh dort, tolle Girls als Cheerleader, das ist was für Zenon`s "Engelchensammlung"!

Der läuft unter 3.30 h, schafft er`s? Km 13 bis 15 sind auf der anderen Flussseite auf der Insel Kipsala, ekelige Strecke, teils mit Sand und Pflaster. Ich mache Fotos im Hintergrund mit der gerade überwundenen Vansu-Brücke. Oh Gott, km 20! Die Zeit hochgerechnet ergibt eine Endzeit unter 3.40. Das ist unmöglich, nein, Wahnsinn. Das geht nicht! Bei 17 km Training die Woche muss heute der Hammer kommen.

Jetzt folgt gleich Kilometerschild 30, ab in die Büsche. Jetzt wieder diese einsame Insel bis km 34 "belaufen". Micha ist noch knapp vor mir. Inzwischen überhole ich nur noch. Bei km 35, den ich bei 3.01.03h durchlaufe, überhole ich Micha. Es stellt sich heraus, dass er leider fast einen Hungerast bekommen hat und das war`s dann mit seiner Bestzeit. Der Bärentöter, ich fühle mich mit ihm eins, krallt sich wieder in den Nacken der vor ihm laufenden Elchkuh. Jetzt greife ich an! Volles Rohr! Bin ich verrückt? Ein Foto zurück über die Brücke und ich mach die Pace. Jetzt nicht abheben! Kommen dort vier Nympfen auf mich zu? Einen Sekundenbruchteil denk ich an "Hylas und die Nympfen" aus der griechischen Mythologie. Quatsch, da sind wieder tolle Mädels auf der Brücke, da muss ich noch dazwischen, na ja, wegen des Fotos!

Die Brücke ist passiert, ab in die Altstadt. Ich habe inzwischen keine Gleichgesinnten mehr, lauf an den vor mir liegenden Läufern vorbei. Die Zuschauer werden mehr, sie klatschen, ich ziehe es in mich hinein. Ein kleiner ca. 2 jähriger Junge klatscht mir mit seiner Mutti zu. Er lacht und versucht auf seinen kleinen Beinen mir zu folgen. Ich habe Tränen in den Augen, könnte ihn drücken… Aber nein, ich peitsche weiter wie im Trance, mich hat es gepackt …überglücklich sehe ich bei km 39 Sonja und Martin stehen, sie winken mir zu. Da, mein Kilometerschild: die "40", ich schmeiß mich vor das Schild, "verbessere" das Bild mit einer hübschen Lettin (Foto), rappele mich auf und weiter geht`s! Rechts rum, auf die Zielgerade, ich reiß die Arme hoch. Die letzten 195 m säumen viele Zuschauer rechts und links die Läufer.

Ein kurzer Blick auf die Uhr, da ist noch Zeit für ein Foto vor der Ziellinie! Die Zuschauer glauben es nicht, dass hier so ein Irrer noch mal vor der Ziellinie für eine Fotoseschen zurückläuft…wieder kehrt macht, um dann doch noch über die Ziellinie in 3.38.21 h zu preschen! Da war heute kein Einbruch, kein Mann mit dem Hammer! Einmalig, ich bin glücklich! Sonja und Martin empfangen mich, sie sind locker den "Halben" gelaufen… Micha kommt, leider hat er noch viel Federn gelassen mit seiner Endzeit von 3.48.57 h. Aber beim nächsten mal, da packt er`s! Noch ein paar Zielfotos und wir trollen uns zurück ins Hotel.

Nach dem Duschen trinke ich traditionsgemäß Sekt, zusammen mit Micha und unseren liebenswerten "Gastgebern" Sonja und Martin, natürlich auch das zu meinem absoluten Lieblingsbier gewordenem Lacplesis. Nach dem "Aftermarathonnachmit-tagsschlaf" sitzen wir gesellig in einer urigen Kneipe in der Altstadt zusammen und fallen 23 Uhr doch ganz schön fertig ins Bett. Der Abschied von Riga folgt am nächsten Tag wie auch von "LaufKultTour". Wir waren ein tolles Team und ich bin sicher, dass wir mit Ihnen wieder eine Marathonreise machen werden...

Meine Durchgangszeiten:
5 km: 25.10 min 25.10 min 10 km: 25.17 min 50.27 min
15 km: 26.37 min 1.17.04 h 20 km: 25.47 min 1.42.51 h
25 km: 26.09 min 2.09.00 h 30 km: 26.17 min 2.35.17 h
35 km: 25.46 min 3.01.03 h 40 km: 25.15 min 3.26.18 h
Ziel: 12.03 min 3.38.21 h

 
 

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