"Long
Distance Sigrid" hat es geschafft und bietet mir liebenswerte
Linderung an. Doch ich will einfach nicht mehr auf meine Jacke verzichten!
Auf nassen Pflastersteinen jage ich bergab. Vorwärts zum letzten
Kaiserberg, dem Stuifen! Dennoch geißelt mich eine finstere
Vorahnung.
Nach
30 Kilometern und 3:45:12 bestätigt mir ein bayerischer Gefährte,
was meine Knochen längst wissen: Maximal 8 Kilometer verlaufen
heute gelenkfreundlich! Endlich weiß ich, warum mich die Burgen
und Berge so mitleidig anschauen. Von weitem glänzt ein "Dreigestirn"
auf der Landstraße, das eine gefühlte halbe Stunde Vorsprung
hat. Familienvater Uwe Zietlow, "Schwarzläufer" Clauss
und Lothar Preißler, der herzliche Beistand meines ersten
Ultras, dem Einheitslauf 2006, stürmen mir entgegen. Nun erblicke
ich sie direkt vor mir. Die zweite Sigrid des Tages und die weibliche
Nummer Eins unseres Planeten. Eine kleine großartige Frau,
über die ich viel gehört und noch mehr gelesen habe: Sigrid
Eichner. Schmunzelnd stoppt die Weltrekordlerin für
ein Erinnerungsfoto: "Ich bin eine echte 68er!" Oft lief
sie mit Schmerzen, doch ihre "Sucht" ist stärker.
Denn Sigrid`s erster Marathon liegt exakt
1.322 Wettkämpfe zurück! Wäre es nicht
toll, wenn ich bei ihr bleibe?
Das
genieße ich nun. Es geht ja um nichts mehr. Ah, da ist ein
prallgefüllter Verpflegungsstand! Wo bleibt denn Sigrid? Hilfe,
sie ist wieder weit voraus! So schnell sehe ich die taffe Berlinerin
wohl nicht mehr. Den 1.500ten Marathon wünsche ich ihr in zwei
Jahren, denn dann ist Sigrid sagenhafte 70 Jahre alt! Mit 5:02:19
schleiche ich am Kilometerschild 40 vorbei. Lohnt sich auf der flachen
Straße überhaupt noch ein Kraftakt? Wohl kaum. Zwei Teilnehmer
ruhen auf einer Parkbank und genießen auf ihre Art die Abschlussetappe.
Eigentlich schade, dass ich alleine bin. Aber wer wurzelt denn da?
Moment mal, Clauss hält Wort und holt mich bei Kilometer 48,5
ab! Erstaunt und erfreut muss ich seinen Schritt etwas drosseln,
denn meine neue Zielzeit ist fest einprogrammiert. Dreihundert Meter
vor dem Marktplatz wartet Lothar, der dort mit Clauss schon vor
über 45 Minuten gefinisht hat. Lothar perfektioniert die Eskorte
und beide bringen mich nach 6:16:56 sicher über die Linie (Foto).
Gerührt, glücklich und schmerzfrei entdecke ich meine
geschwächten Frauen, die ihre glitzernden Einkaufstaschen tragen.
Darin türmen sich sichtbare Andenken an einen wertvollen Tag,
die gewiss nur kurze Begleiter sein werden. Ich
hingegen bin dankbar dafür, etwas mitzunehmen, das bleibt:
Die Freundschaft.
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