25.10.2008
18. Schwäbische Alb Marathon


Ein Bericht von
Mirko Leffler

Früher war nicht alles anders. Aber einiges. Zum Beispiel der Europacup! Als 10jähriger war das für mich das Größte: 11 Freunde und ein Fußball. Jetzt, Jahrzehnte später, wird mein Traum endlich war. Nur tummeln sich auf dem Marktplatz von Schwäbisch Gmünd hunderte Mitspieler, aber noch kein Freund! Um 10.00 Uhr steigt das finale Saison-Event im Europacup der Ultramarathons. Mit gezähmter Vorfreude auf den 18. Schwäbische Alb Marathon scannt mein biologisches Radar das Feld. Kein Signal. Halt! Da ist eine vertraute Lebensform! Sogleich empfange ich bei tristen 12°C die sonnige Umarmung von Brigitte Zietlow. Es ist unsere vierte "Ultrabegegnung", trotzdem kennen wir uns scheinbar schon ewig! Waren wir vielleicht ständig zu lange unterwegs? Auch René Gnauert, mein Hauptstadtkamerad, ist auf einmal dabei. Was bringt uns der 25.Oktober 2008? Fünfhundert Meter weiter gewinne ich tiefe Eindrücke. Bunte Blätter leuchten auf grauem Asphalt. Hoppla! Ich stolpere, werde zum Fallobst und rolle über den Bordstein. Doch Erfolg hat, wer einmal mehr aufsteht als liegen bleibt. Also weiter! Nur leicht ramponiert setze ich die Reise mit René fort. Bis er vom nahenden Wald verschlungen wird.

Nun trabe ich neben der blonden "Long Distance Sigrid". So lese ich es auf einem blutroten Shirt. Sigrid Maria Suermeli will hier "nur" über 25 Kilometer bestehen: "42 Kilometer sind lang genug…!" Wirklich? Wieso freue ich mich dann über 50 Kilometer und 1.070 Anstiegshöhenmeter? Na klar - meine Beine hoffen auf weiche Erde! Doch nach 1:01:23 und 10 Kilometern haben sie die Zuversicht verloren. Die Sonne steigt wie der versteinerte Boden empor. Ich trenne mich von den Handschuhen und binde mir die Jacke um die schweißnasse Hüfte. Ein kalter Hauch streicht mir zärtlich über den Bauch. Wie ein Abschiedskuss des Sommers - allerdings ein ziemlich feuchter. Schlagartig weht ein anderer Wind. Es geht steil nach oben! Seitlich des Pilgerweges hängt der leidende Jesus am Kreuz. Plötzlich fühle ich mit ihm. Mein Magen rebelliert! Hätte ich die Jacke lieber anbehalten sollen? Zu spät! Augenblicklich wünsche ich mir einen "Nierengott". Ein anspruchsvoller Trampelpfad führt auf die Spitze des Hohenstaufen.

Glück gehabt! Andernfalls hätten die übermotivierten Straßenbauer sicher auch das letzte Stück des Naturschutzgebietes betoniert. Laute klopfen plötzlich an meinen Rücken. Sendet die etwa der "verrückte" Kollege vom Brocken-Marathon 2007? Leibhaftig! Clauss Lederer bleibt seiner Mission treu: Per Anhalter zum Start und ohne Startgebühr, aber stets mit Medaille, ins Ziel. In diesem Jahr hat er so jeder Rezession getrotzt und es bislang auf drei Marathons und sechs Ultras gebracht. Selbst die gemeinen 166 Kilometer um den Mount Blanc konnten ihn nicht bremsen. Sofort schließen wir einen Pakt. Er wird mich als persönlicher Betreuer unter 5:30:00 bringen! Beseelt folge ich ihm. Leider hat Clauss ein invalides Geflügel im Gepäck. Mit "…das wird nichts…ich warte auf Dich…" zieht er davon. Deprimiert bleibe ich zurück. Und erliege dem Ruf der Darmflora. Ganze sieben Minuten später bin ich wieder ich. Umgarnt von Musik. Kleine, adrett lächelnde Mädchen servieren ein Transparent: "Nur noch 80% Steigung" (Foto). Sehr witzig! Kurzatmig vergeht mir der Spaß. Der Hohenrechberg lässt mich nur im Wandermarsch hinauf! Unerwartet stehe ich neben Irina Zietlow, die mit ihren Eltern unterwegs ist. Gemeinsam - und trotzdem jeder für sich. Eine starke Familie! Zusammen erreichen wir KM 25 und Irina entschwindet pfeilschnell.

"Long Distance Sigrid" hat es geschafft und bietet mir liebenswerte Linderung an. Doch ich will einfach nicht mehr auf meine Jacke verzichten! Auf nassen Pflastersteinen jage ich bergab. Vorwärts zum letzten Kaiserberg, dem Stuifen! Dennoch geißelt mich eine finstere Vorahnung.

Mirko Leffler und Sigrid EichnerNach 30 Kilometern und 3:45:12 bestätigt mir ein bayerischer Gefährte, was meine Knochen längst wissen: Maximal 8 Kilometer verlaufen heute gelenkfreundlich! Endlich weiß ich, warum mich die Burgen und Berge so mitleidig anschauen. Von weitem glänzt ein "Dreigestirn" auf der Landstraße, das eine gefühlte halbe Stunde Vorsprung hat. Familienvater Uwe Zietlow, "Schwarzläufer" Clauss und Lothar Preißler, der herzliche Beistand meines ersten Ultras, dem Einheitslauf 2006, stürmen mir entgegen. Nun erblicke ich sie direkt vor mir. Die zweite Sigrid des Tages und die weibliche Nummer Eins unseres Planeten. Eine kleine großartige Frau, über die ich viel gehört und noch mehr gelesen habe: Sigrid Eichner. Schmunzelnd stoppt die Weltrekordlerin für ein Erinnerungsfoto: "Ich bin eine echte 68er!" Oft lief sie mit Schmerzen, doch ihre "Sucht" ist stärker. Denn Sigrid`s erster Marathon liegt exakt 1.322 Wettkämpfe zurück! Wäre es nicht toll, wenn ich bei ihr bleibe?

Lothar Preissler, Mirko Leffler, Clauss Lederer (vlnr) Das genieße ich nun. Es geht ja um nichts mehr. Ah, da ist ein prallgefüllter Verpflegungsstand! Wo bleibt denn Sigrid? Hilfe, sie ist wieder weit voraus! So schnell sehe ich die taffe Berlinerin wohl nicht mehr. Den 1.500ten Marathon wünsche ich ihr in zwei Jahren, denn dann ist Sigrid sagenhafte 70 Jahre alt! Mit 5:02:19 schleiche ich am Kilometerschild 40 vorbei. Lohnt sich auf der flachen Straße überhaupt noch ein Kraftakt? Wohl kaum. Zwei Teilnehmer ruhen auf einer Parkbank und genießen auf ihre Art die Abschlussetappe. Eigentlich schade, dass ich alleine bin. Aber wer wurzelt denn da? Moment mal, Clauss hält Wort und holt mich bei Kilometer 48,5 ab! Erstaunt und erfreut muss ich seinen Schritt etwas drosseln, denn meine neue Zielzeit ist fest einprogrammiert. Dreihundert Meter vor dem Marktplatz wartet Lothar, der dort mit Clauss schon vor über 45 Minuten gefinisht hat. Lothar perfektioniert die Eskorte und beide bringen mich nach 6:16:56 sicher über die Linie (Foto). Gerührt, glücklich und schmerzfrei entdecke ich meine geschwächten Frauen, die ihre glitzernden Einkaufstaschen tragen. Darin türmen sich sichtbare Andenken an einen wertvollen Tag, die gewiss nur kurze Begleiter sein werden. Ich hingegen bin dankbar dafür, etwas mitzunehmen, das bleibt: Die Freundschaft.

 
 

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