Schon
am ersten Anstieg Richtung Frauenstein (s. Streckenplan)
wurde mir klar: mein Freund, der "Obertroll" Peter ist
heute in einer glänzenden Form. Er hat mir gleich ca. 10 Meter
abgenommen. Bei der Abfahrt gelingt mir aber wieder der Anschluss
und wir fahren die nächsten Kilometer zusammen. Nur wenige
Sekunden hinter der führenden, etwa 30-köpfigen Spitzengruppe.
Hinter uns das restliche in immer mehr kleinere Gruppen zerfallende
Feld der ca. 350 Fahrer. Ich werde mit der Zeit "warm"
und kann an den folgenden, bis zu 15%-steilen "Bergen"
mit Peter gut mithalten. Wir fahren schnell, vielleicht sogar ein
wenig zu schnell in einer kleinen, starken Gruppe. Immer auf und
ab. Nach 85 km will Peter seine Kräfte für die noch bevorstehenden
165 km doch mehr schonen und etwas ruhiger fahren. Wir trennen uns
an der 2. Verpflegungsstelle in Reizenhain. "Ich will es heute
wissen" - sage ich zu Peter - "entweder ich bleibe weit
unter meiner Bestmarke von 9 Stunden oder ich breche jämmerlich
ein". "O.K". - sagt er - "bis später".
Leider
muss ich jetzt lange alleine fahren. In Jöhnsdorf sind Steigungen
von 15% zu überwinden. Als der Berg endlich vorbei ist und
ich das Ortsausgangsschild sehe, bennene ich die Stadt für
mich kurzerhand in "Stöhns-dorf"
um .
Der
Aufstieg zum Fichtelberg (Km 120) hat es auch in sich.
Bis ich oben an der Verpflegungsstelle ankomme, habe ich ca. 20
Fahrer gezählt, die mir entgegenkamen. Hier halten sich noch
etwa 10 weitere auf. Die Pause ist für mich wieder ganz kurz
- ich esse und trinke schnell etwas und fahre wieder hinunter. Nach
ca. 1 Kilometer sehe ich Peter, der mir entgegenfährt. Er ist
also nur wenige Minuten hinter mir. Mal sehen, vielleicht holt er
mich wieder ein und wir fahren dann weiter zusammen. Und trinken
im Ziel ein paar Bierchen. Wie eigentlich von Anfang an geplant.
Ich fühle mich gut und freue mich schon darauf.
Es
kommt aber alles ganz anders. Bei
Km 164,5, kurz nach der 4. Verpflegungsstelle, ist für mich
dieser Wettkampf plötzlich zu Ende.
"Das war's, gleich bist Du weg vom Fenster"
- geht es mir blitzschnell durch den Kopf in den wenigen Millisekunden
zwischen dem Zeitpunkt als ich realisiere, dass der Zusammenstoss
mit dem Kleinwagen unausweichlich ist, und dem Aufprall selbst.
Ich stosse mit dem Kopf und dem linken Oberarm gegen die Heckscheibe,
die dabei in Millionen kleine Stücke zerfällt, und mit
dem linken Oberschenkel gegen die Kofferraumklappe. Die beiden Vorderradgabel-Hälften
brechen weg wie Streichhölzer (Foto), ich rutsche ab, lande
auf der Strasse, schreie und heule vor Schmerz als hätte ich
mir alle Knochen gebrochen. Immer mehr Leute sammeln sich um mich
herum und wollen mir helfen. Ich höre viele Fragen, die ich
aber anfangs nicht beantworten kann. Kaum, dass ich den Mund aufmache,
muss ich heulen und kann mich nicht beherrschen. "Wo tut es
weh?" Ich zeige auf die linke Brust und und den linken Oberschenkel.
"Können sie die Füsse bewegen?" Ja, das geht.
"Wie heissen Sie, wo kommen sie her?" Ich nenne meinen
Namen, heule zwischendurch, nenne meinen Vornamen, heule wieder,
nenne meine Adresse.
"O.K.
- er ist bei Bewußsein und ansprechbar" - höre ich
Jemanden sagen. "Wollen Sie etwas trinken?" Ja, danke.
Hat jemand den Krankenwagen gerufen? Ja, ist schon unterwegs. Ich
liege auf dem Rücken. Über mir, auf dem Dachboden des
Hauses, direkt neben der Strasse sehe ich viele Tauben in ihren
Käfigen. Oder waren es Kaninchen? Nein, ich glaube, das waren
Tauben. Ein Taubenschlag muss es gewesen sein.
Jemand
legt mir eine Decke unter den Rücken. Ja, so ist es angenehmer.
Ich schliesse die Augen, mache sie nach einer Weile wieder auf,
setzte die Brille und den Helm ab. Mein Arm blutet, der Kopf ist
aber ganz, der restliche Körper offenbar im Grossen und Ganzen
auch. "Mann, hast Du Schwein gehabt" - denke ich und muss
wieder losheulen. "Peter" - schreie ich, als nach ca.
15 Minuten unser "Obertroll" an der Unfallstelle vorbeifährt
und sofort anhält. "Zenon, mein
Gutster, was machst Du hier für Sachen"? - fragt
er. Er ist zunächst entsetzt, wirkt aber sichtlich erleichtert,
als er sieht, dass es mit mir nicht ganz so schlimm ist. Jetzt kommt
der Krankenwagen. Der Arzt untersucht mich und stellt mir viele
Fragen. Es ist das erste und letzte Gesicht an der Unfallstelle,
dass ich - ausser Peter - wahrnehme und an das ich mich auch später
noch erinnern kann. Vielleicht, weil er mich auch im Krankenwagen
bis zu dem Erzgebirgsklinikum
Annaberg-Buchholz begleitet.
In
dem Klinikum werde ich gründlich untersucht und versorgt und
lande am Ende in einem 2-Bett-Zimmer (Foto). Mein Zimmergenosse,
der Rene, hat ein gebrochenes Sprunggelenk und gerissene Sehne an
der Fussvorderseite. Aber nicht wegen Sport. Es ist einfach beim
"Rumblödeln" mit seinen Kumpels passiert, wie er
sagt. Na, da bin ich beruhigt. Nicht nur Sport ist "Mord".
Am späten Nachmittag ruft mich der Veranstalter des Supercups
Ralf Winkler an und erkundigt sich
nach meiner Gesundheit. Eine schöne Geste. Vielen Dank an dieser
Stelle, auch für die Hilfe mit dem Auto, die meine Frau am
nächsten Tag erfahren hat. Der Supercup war wieder einmal eine
schöne und super organisierte Veranstaltung. Unfälle,
wie meiner, können immer passieren. Keiner kann etwas dafür.
Gegen 18:00 Uhr taucht der Peter auf einmal in meinem Zimmer auf.
Noch in seinen Radsachen und ungeduscht ist er direkt vom Ziel in
die Klinik gefahren und hat mir meine persönlichen Sachen aus
meinem Auto mitgebracht. Und vorher das Rennrad bzw. das, was davon
noch übriggeblieben ist, gesichert.
"Peter,
ich danke Dir, Du hast ja ganz schöne Umstände gehabt".
"Nicht der Rede wert" - winkt er ab. Wir schwatzen noch
kurz, dann muss wieder weg. Nächsten
Tag ruft er mich an: "Wie geht's Dir heute?" Danke - sage
ich - mir tut alles weh, sonst bin ich aber wieder fit . Am nächsten
Wochenende fahre ich , wie geplant, zum "Ötzi".
"Bist Du verrückt, willst Du es wirklich machen?".
"Nein, natürlich nicht" - sag ich und lache. "Mein
Rennrad ist doch im Eimer. Na ja, und der Körper soll sich
auch erst einmal eine Weile erholen. Die Radsaison 2006 ist für
mich zu Ende. Ich fange bald wieder an, zu laufen. Im Oktober ist
ja der nächste Dresden-Marathon.
Aber vorher trinken wir noch ein Bier zusammen". "Geht
klar" - sagt Peter - "bis bald, ich melde mich am nächsten
Wochenende vom Brüssel-Marathon".
Peter
ist den Supercup ganz stark, unter 9 Stunden gefahren.
Ich bin auf seine Zeit in Brüssel gespannt. Von "unter
3 Stunden" wollte er aber nichts wissen. "4 Stunden"
- meinte er tiefstapelnd. Mal sehen. Bekanntlich liegt die Wahreit
meinstens in der Mitte. Ich freue mich schon auf seinen Bericht.
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Bericht
von 2000 auf Hernolds-Radseiten
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