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11.09.2016
Tallinn
Marathon Ich
denke zurück
vor 1009 Tagen lief ich in Jamaika meinen
letzten Marathon, war fit, locker und cool. Die Faust ballend sagte
ich damals im Ziel zu mir, so wie ich das von den Jamaikanern übernom-men
hatte: Jah Mann, Respekt, mach weiter so
(>> Bericht
Jamaika-Marathon).
Aber es sollte nicht sein. Gesundheitlich angeschla-gen, musste
ich lange Zeit pausieren und jetzt, heute, stehe ich mit Tränen
in den Augen an der Startlinie zum Tallinn Marathon. Ich habe lange
überlegt, laufe ich noch einmal einen Marathon oder lasse ich
die Laufschuhe am berühmten Nagel hängen. Aber heute stehe
ich hier, mit meinen Freunden Micha und Zenon (Foto).
09.09.:
Über Frankfurt nach Tallinn geflogen, bezogen Micha und ich
unser Hotel St. Olav mitten in der ehrwürdigen Altstadt. Zenon
passte uns in der Rezeption ab und schon ging es auf die Pirsch.
Über den Marktplatz,
mit restaurierten Bürgerhäusern bestückt (Foto)
und ähnlich dem in Wroclaw, schlenderten wir weiter zum Friedensplatz.
Dort
war die Expo und es galt die Startunterlagen abzuholen. Zenon hatte
dies schon vor zwei Stunden getan und so holten Micha und ich unser
Startpaket bei den ersten Engelchen (Foto)
ab. Draußen vor dem Zelt bemerkte ich eine weitere hübsche
Tallinnerin, Kristiina, die uns stolz über ihren übermorgigen
ersten Marathon erzählte, sie sollten wir noch öfters
sehen... Über die imposante Newski-Kathedrale,
wo innen Micha eine Kerze für unser Marathondurchhalten entzündete,
liefen wir weiter auf dem Domberg und in der Oberstadt und erfreuten
uns an den alten Gemäuern. Ein zünftiges Pizzaessen auf
dem Marktplatz beendete den Tag oder kam da noch was? Im Hotel war
zur Schlafenszeit leichtes Bassgedröhn zu hören...
10.09.:
Schweißgebadet schnellte ich in die Höhe, was ist das?
Ich stand im Bett, zitternd und erkannte dann wütend die Ursache.
Es ist 1 Uhr. Die Nachtdiskothek hatte begonnen und was wir nicht
wussten, die war direkt neben unserem Zimmer und das mit ohrenbetäubendem
Lärm. Schlafen ade, Beschwerde um 3 Uhr an der Rezeption, Achselzucken,
4 Uhr dann Ruhe und Micha und ich fallen irgendwie wieder den Schlaf.
Mürrisch
zog ich mir das Frühstück ein, aber bei der anschließenden
Stadtrundfahrt war alles wieder gut. Wir zogen die gesamte Linienführung
der City Tour mit dem Bus durch und konnten so auch außenliegende
Gebiete von Tallinn sehen und im Botanischen Garten eine größere
Ruhepause einlegen (Foto).
Wieder in der Stadt, traf ich mich mit drei Mitgliedern des Country
Marathon Clubs (Foto),
wo ich mich derzeitig auf dem 18. Platz der Weltrangliste der gelaufenen
Marathonländer befinde.
Marathontag,
der 11.09.:
Nach dem gestrigen Zimmertausch hatten wir besser geschlafen. Mir
war sehr flau im Bauch, was wird der Tag bringen? Werde ich meine
ausgeklügelte Strategie des heutigen Marathonlaufens einhalten
können? Komme ich überhaupt ins Ziel? Sechs Stunden habe
ich mir vorgenommen, 3 Stunden und 15 Minuten über meiner Marathonbestzeit,
aber heute ist ein anderer Tag.
Mit
dem geringsten und schonendsten Aufwand möchte ich meinen Körper
am wenigsten stressen. Geht das überhaupt bei einem Marathon?
Ich will 2 km langsam laufen, danach eine Minute gehen, dann wieder
das Gleiche und das immerfort bis zum Halbmarathon. Zu Hause hatte
ich das bis km 14 erfolgreich probiert. Hier will ich bei km 21
das Tempo rausnehmen und nur noch gelenk-schonend bis zum Ziel gehen.
Da käme ich bei 6 Stunden raus, oder? Tja, wenn alles mitspielt?
Wir gehen zu dritt um 8:30 Uhr zum Start, ziehen uns um und stellen
uns in den Startbereich nahe dem Friedensplatz. Mein Jagdinstinkt
erwacht für hübsche Fotos, und Engelchen sind
hier am Start zum Marathon doch einige (Foto).
Micha sagte mir, er wird so lange als möglich in meiner Nähe
bleiben und damit habe ich eine sehr starke moralische Stütze.
Und Zenon ist natürlich auch dabei. Der Startschuss um 9 Uhr
fällt und endlich geht es los. Wir haben den heutigen Lauf
Zenons verstorbenen Sohn Roman
gewidmet und so haben wir auch alle drei die gleichen Shirts an.
Das ist auch gut so, wenn wir uns mal unter den ca. 1800 Marathon-
und später 3200 Halbmarathonläufern suchen. Gesagt,
getan. Ich laufe mit ca. 9 km/h die ersten 2 Kilometer, immer Micha
und Zenon im Auge behaltend. Ein so geiles Gefühl, endlich
wieder mitten im Läuferpulk zu sein, die Eindrücke links
und rechts und drum herum einziehend, Fotos machend, so herrlich.
Jetzt gehe
ich in Ruhe weiter, die Läufer überholen mich, egal, ich
werde meinen Plan einhalten, meinem Körper zu liebe. Wieder
beginne ich zu laufen um dies bis km 4 durchzuziehen. Und da, da
ist doch wieder Kristiina (Foto)
, die zierliche Tallinnerin von vorgestern vorm Ausgabezelt. Sie
freut sich auch uns wiederzusehen. Ich erzähle ihr ein wenig
von meinen Marathons. Sie sagt mir ihre geplante Endzeit, da weiß
ich, dass ich sie in Kürze leider ziehen lassen muss. Früher
bin ich viele Marathons mit Läuferinnen gelaufen, die ihr Marathondebüt
hatten. Da hatte ich immer einen beschützenden Instinkt.
Bei
Km 5 bin im voll im Limit, ich hatte so 36 Minuten geplant und mit
34:58 min war das okay. Zenon und Micha sind in meiner Nähe.
Das Wetter ist genial, ca. 18 Grad und die Strecke ist auch toll.
Es ist ein Halbmarathonkurs, der zweimal durchlaufen wird. Bei ca.
km 11,5 wird der der erste Wendepunkt sein. Inzwischen laufen wir
am Meer entlang, eine frische Prise mit leichtem Fischgeruch weht
uns entgegen. Ich nehme an den vielen Verpflegungspunkten immer
etwas zu mir, meist Rosinen und Banane. Wir machen dort so unsere
Späßchen, dort ein Foto und dort eine Umarmung und bald
ist km 10 da. Ha, da schau, auf der anderen Seite ist wieder Kristiina,
diesmal kommt sie mir winkend entgegen, also hat sie schon den Wendepunkt
hinter sich.
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Aha, da hinten
ist er und zack, rum und wieder zurück. Jetzt heizen uns einige
Cheerleaders ein und da lerne ich den Wikinger kennen, ihn sehe
ich noch einige mal, da er etwa mein Tempo hat. Ich
bekomme Krämpfe hinten im rechten Oberschenkel, damit muss
ich leben, ich nehme sofort Magnesium ein und kann die Schmerzen
damit eindämmen. Ich komme zu km 15 in 1:45:18 h, prima, im
grünen Bereich! Zenon ist inzwischen weit vor mir und Micha
läuft in meiner Nähe. Er ist ganz cool und behält
mich im Auge. Das ist und tut mir gut so. Ca. bei km 18, wo die
Strecke vom Meer wieder in die Stadt zurückführt, sind
wieder Cheerleaders.
Ich geselle
mich zu ihnen. Germany Go! hat eins der Mädels
auf ihrem Schild stehen (Foto).
Kilometerschild 20, ich mache Fotos mit einer Japanerin, ihre Familie
ist begeistert von der Veranstaltung. Jetzt bin ich am Halbmarathon-zieleinlauf,
ich könnte rechts abbiegen und wäre in 50 m im Ziel. Ich
biege ab
da sind sofort Ordnungskräfte bei mir und ich
erkläre ihnen, na ja, Ich will doch nur spielen
und denke an das Lied von Annett Louisan.
Eigentlich
ist doch jetzt eh Schluss mit Laufen, oder? Gehe ist jetzt bis zum
Ziel? Langsam schlendre ich weiter. Da sehe ich Micha, er wartet
geduldig bei km 22 auf mich und ich beschließe, doch noch
bis km 25 mit run and walk zu kommen. Weitere nette
Zuschauer jubeln mir zu, kurzer Schwatz und weiter gehts.
Die Stadtmauer ist zu sehen und dann laufen wir wieder am Meer entlang.
Da ist endlich km 25, geschafft in 2:58 :11 h. Im Schnitt so 36
min für 5 km. Micha sagt, ich gehe noch bis km 30 mit.
Okay! Da kommt plötzlich die Spitze des Halbmarathonfeldes
von hinten angebraust, alles wieder dunkelhäutig. Ich gehe
mit einer weiteren Marathondebütantin bis km 30 zusammen, das
in 53:09 min. Und da verabschiedet sich dann auch Micha. Du
schaffst das, sagt er zu mir und verschwand.
Inzwischen werde ich von den Halbmarathonies von hinten fast überrollt.
Da ich nur 5 bis 6 km/h draufhabe, sausen sie alle an mir vorbei,
es sind so viele. Ich kann mir sie alle in Ruhe anschauen, das ist
auch mal schön so und es sind ja so viele.
Bei Km 32,5, direkt an der zweiten Wendeschleife, bekomme ich nun
Krämpfe in der linke Kniekehle. Es wird so schlimm, dass ich
nicht mehr Vorwärts gehen kann. Was soll ich machen? Ich bin
am Verzweifeln. Da habe ich die Idee, rückwärts zu gehen.
Ich weiß nicht warum, aber es funktioniert! Ist doch irre,
das ist die Rettung! Rückwärtsgehen! Die Kniekehle gibt
im Rückwärtsgang Ruhe. Dafür denken aber sicherlich
die Läufer, die mich nun überholen, na der hat ja ne
Macke. Mir egal, ich will und muss ja durchkommen. Km 35 erscheint,
ich habe mich noch nicht richtig erholt, schlucke wieder Magnesium
und es hilft. Jetzt scheint die Sonne, herrlich, es ist warm, rechts
hinten sehe ich die Silhouette Tallins, wie sie sich im gleißenden
Sonnenlicht über dem Meer wiegt.
Die Läuferschar
wird weniger, so viele sind nun schon an mir vorbeigelaufen, viele
mit originellen Sprüchen auf den Shirts (Foto).
Da kommt eine aufgebaute Sprinkleranlage Ich husche mit Iuliia,
einer russischen Läuferin, mal kurz unter die willkommene Abkühlung
und gehe wieder vorwärts weiter.
Jetzt
biegen wir wieder halb links rein und damit verabschiede ich mich
vom Meer. Es kommt mein obligatorisches Kilometerschild 40. Wie
viele Bilder habe ich bei diesem Kilometerstand schon in meinen
gelaufenen Marathons geschossen? Weitergehen! Da tosen nochmal meine
Cheerleaderinnen von der erste Runde. Selbst mir, der ich doch inzwischen
fast am Ende des Läuferfeldes mich befinde, jubeln sie noch
zu, das ist so great, so schön, Mädels. Noch wenige Straßenzüge
bis zum Ziel, ich rieche es förmlich, es zieht mich an wie
ein Magnet, da vorn, da ist der rechte Knick an der Strecke. Und
jetzt, das Kopfsteinpflaster trägt mich oder ich schwebe, weiß
nicht, ich sehe die letzten Meter nicht mehr, es ist so herrlich,
ich stehe vor dem Zielstrich. Der Kommentator ruft mich mit meinem
Namen auf, aber ich renne oder gehe nicht durch Ziel. Ich weide
mich an dem Moment, diesen Marathon geschafft zu haben und jetzt
erst, wo ich Micha und Zenon im Ziel sehe, gehe ich durch das Zielband.
5:55:44 h. Ich kann es nicht fassen, es
ist vollbracht!
Ich umarme
Zenon und Micha, die auf mich gewartet haben, empfange die Medaille
und mache natürlich viele Fotos, diese Moment des Triumpfes
für mich und meinen Körper möchte ich festhalten.
Natürlich trinken wir im Hotel noch Sekt auf unseren gelungenen
Marathon, den Zenon ca. 90 min und Micha ca. 45 min schneller absolvierten.
Den Abend verbringen wir in einem kleinen französischen Restaurant
und in der nächtlichen Altstadt genehmigen wir uns noch als
Abschluss ein zünftiges Guinness in einem Hardrock Pub.
12.09.:
Wir haben alles halbwegs gut verkraftet und fahren zum Kadriorg
Park, überall erholsames Grün. Von dort laufen wir
noch einmal zum Meer und dann weiter zur Altstadt. Ein tolles Highlight
wird die Treppenbesteigung der St. Olav Kirche. Der krönende
Abschluss war ganz oben auf der Plattform der traumhafte Ausblick
auf Tallin mit Ober- und Unterstadt, der Stadtmauer und dem Hafen.
Zenon verabschiedet sich dann im Hotel, er fliegt heute nach Hause.
13.09.:
Für mich ist heute noch kurz die Ausschau auf ein Andenken
und ein Ausschlendern mit Micha durch die Altstadt angesagt, bevor
auch wir im Hotel auschecken und den Heimweg antreten.
Meine Durchgangszeiten:
5 km:
34:58 min 34:58 min
10 km: 35:58 min 1:10:56 h
15 km: 34:22 min 1:45:18 h
20 km: 36:22 min 2:21:40 h
25 km: 36:31 min 2:58:11 h
30 km: 53:09 min 3:51:20 h
35 km: 52:21 min 4:43:41 h
40 km: 52:22 min 5:36:03 h
Ziel: 19:41 min 5:55:44 h
>> Bericht
von Zenon >>
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