"Unglaublich aber wahr! - der letzte Mohikaner"

3. Algier Marathon
01.11.2011


Bericht von Peter Maier

Hanno (im Foto links) sagt im Flugzeug nach Algier zur Stewardess: "Oh, meine Tochter ist auch Flugbe-gleiterin im A 380 bei der Lufthansa" und schon hatten wir den "Himmel auf Erden". Jeden Wunsch lasen sie uns von den Lippen ab. Stark belustigt wurden wir am Flugplatz von Algier von Kamel Gerant, dem Schwiegersohn vom Algier Marathon Organisator Abdel Rezkane, abgeholt und zum "Lounge Hotel" gefahren. Nach kurzer Pause holten wir unsere Startunterlagen ab und zogen uns einen herrlichen Döner-Teller rein (Foto). Abends lud uns Organisator Abdel zu einem Abendbrot im Restaurant "Touareg" in Algier ein. Natürlich gab es das Nationalgericht der Algerier, "Kuskus" mit vielen Gemüse- und Fleischzutaten, zu essen.

Es war Sonntag früh, der 30.10.2011, Hanno und ich hatten saumäßig geschlafen. Die Bude war heiß, die Matratzen waren bis runter zum Fußboden total durchgelegen, mir tat alles weh und mir war elend. Ich versuchte bei Dauerregen vor dem Frühstück zu joggen und quälte mich so dahin. 11 Uhr holte uns Kamel ab, für die 7 km bis zur Altstadt Algiers brauchten wir 60 min, schlimm, aber in und um Algier soll es immer so sein... Dafür war die Altstadt Algiers schon eine Augenweide für sich. Diese alten Kolonialbauten aus dem 18. Jahrhundert, in blau und weiß gehalten, einfach toll, u. a. auch das Grand Post Office. Aber auch überall waren Autos über Autos und Menschen über Menschen (Foto).

Am Montag fuhren wir mit Kamel zum "Monument der Märtyrer" (Maquam E' chahid), ein Denkmal (nächstes Foto) das im Zuge der 20 Jährigen Unabhängigkeit Algeriens errichtet wurde.

Wieder war überall Stau, auch wegen dem Präsidenten von Algier, der heute die neu gebaute Metro einweihen sollte. Wir besuchten das Armeemuseum. Das war nicht uninteressant, bezug-nehmend auf den Unabhängigkeitskampf gegen Frankreich. Kamel war schon Spitze, er lud uns zu sich nach Hause ein, wir lernten sein Frau und eine seiner Töchter kennen (Foto). Oh, seine Frau hatte toll aufgetischt, natürlich gab es Kuskus...Hanno und ich fühlten die wohlwollende Gastfreundschaft! Abends machten wir einen Spaziergang. Ich machte Fotos in Richtung einiger Palmen und schon hatte ich die Armee im Nacken. Sofort nahmen sie mir die Digitalkamera weg und erst, nachdem Hanno die Jungs beschwor, dass wir Marathonläufer und keine Terroristen seien, ich auch die Fotos gelöscht hatte, dann erst ließen Sie uns wieder frei...schöne Sch...es kann morgen nur besser werden!


01.11. - Nationalfeiertag (Tag der Revolution) und Marathontag:
Oh geil, blauer Himmel, Sonne, ca. 20 Grad. Kurz nach 7 Uhr laufe ich mit Hanno zum Start an der Universität auf der Rue Ahmed Desked.

Ich gebe den Kleiderbeutel ab und lasse mir von Kamel den Startstempel geben. Plötzlich kommen Hunderte Läufer herangestürzt und Kamel verschwindet unter ihnen, ha, ha, die wollen auch alle den Startstempel (Foto). Am Start ist dasselbe sagenhafte Gedränge, wir machen ein paar Fotos und plötzlich war der Start-schuss oder war er das nicht? Jedenfalls rennen alle Läufer, die 10 km, die 21,1 km und die volle Distanz laufen wollen, wie von der Tarantel gestochen so gegen 8.30 Uhr los. Ich war heute ausgeruht und fühlte mich fit für eine gute Zeit...! Die Strecke war anfangs bespickt mit Polizisten und Armisten, die uns die Straßen freihielten, denn das war bei dem Verkehrschaos hierzulande ein Problem. Ich winkte den Armisten zu, die mich gestern abends so geärgert hatten, sie winkten sogar diesmal freundlich zurück.

Mitten unter den vielen 10 km Läufern, davon bestimmt 80 % mit weißen T-shirt verkleidete Soldaten, lief es sich toll. Vorbei am großen Golfplatz lief ich mit der späteren Siegerin Fatma Hachani zusammen am 5 km Schild in 25.43 min vorbei. Das kam mir schon ziemlich schnell vor, aber okay. Sie wollte bei ca. 3.40 h ins Ziel kommen, das wäre die Herausforderung für mich, aber bei den vielen Hügeln?

Es ging bis km 8 einfach mal gleichmäßig nur hoch, eine endlos lange Straße. Aber schön, wie am Straßenrand einige Einheimische wohlwollend uns zuschauten. Bei 10 km zeigt die Uhr 48.19 min. Das ist unmöglich, mir schwante da was, wird das klappen mit der Strecken-vermessung? Bei km 15 soll ich dann schon bloß noch 20.17 min für die letzten 5 Kilometer gebraucht haben, Ich lass jetzt Fatma ziehen, weil mich die kleine Fethia Kouidri (Foto) anspricht, auf die wir aufgelaufen waren. Leider spricht sie nicht englisch. Sie kommt aus Algier und ist erst 18 Jahre alt. Sie deutet mir an, dass sie 10 km Geherin ist und das dies heute ihr 1. Marathon sei, viel mehr konnte ich nicht verstehen. Inzwischen drückt auch die Sonne.

Fethia wird langsamer, wir laufen an einer herrlichen Moschee vorbei (Foto) und nun kommt auch km 20. Oh ja, wir sind viel langsamer geworden. Sie hat auch nur Stoffschuhe an und ich sehe ihr an, wie sie schon kämpfen muss . Ich nehme mir vor, Fethia zu helfen. Irgendwie kommen in mir väterliche Gefühle hoch und ich schwöre mir: "Ich werde sie bis ins Ziel begleiten!"
Inzwischen sind die Straßen überhaupt nicht mehr abgesperrt. Sporadisch sehe ich noch mal Polizisten, die Autos drücken uns an den Straßenrand, die Abgase machen mir zu schaffen. Ein Kleintransporter hupt mich jetzt total von hinten an, da ich versuche, Fethia vor den Autos zu schützen.

Vor Wut schlage ich ihm den Rückspiegel ab, der gerade meine Arm gestreift hat. Der Fahrer schreit mich an. Da kommt plötzlich ein Polizeikradfahrer mit Blaulicht angebraust und droht meinem Widersacher fürchterlich. Als der Polizist an uns vorbeifährt, danke ich ihm lächelnd. Fethia läuft jetzt rechts vor mir und ich versetzt links hinter ihr, so kann ich die Autos gut abblocken. Km 25, wir brauchten 36.48 min für die letzten 5 km. Fethia ist kaputt. Ich merke, dass das heute sehr knapp werden wird, den Zielschluss von 4.30 h zu schaffen. Jetzt geht sie immer öfter, sie verschmäht leider mein Magnesium und die Powergels. Ich fühle mich fit, hab überhaupt keine Probleme.

Auch km-Schild 30 kann nicht stimmen, wir sind fast nur noch gegangen und dann nur 32.46 min für 5 km? Fethia ist am Ende, alle anderen hinter uns laufenden Marathonies haben uns überholt. Der Besen-wagen, ein Sanitätsauto, fährt direkt hinter uns. Das ist mir noch nie passiert: ich bin der letzte hier auf der Strecke. Plötzlich öffnet sich die hintere Wagentür und Fethia (ich kann sie nicht daran hindern)...verschwindet...vor mir die unendliche Auto-schlange, hinter mir der Besenwagen. Jetzt gebe ich "Gas". Ich will nicht letzter werden. In einem Höllentempo laufe ich die nächsten Kilometer. Plötzlich, wie ein Fata Morgana, ist Fethia wieder neben mir. Ich hatte mich gerade richtig "augetobt", jetzt nahm ich ihr Tempo wieder an.

Und sie nahm den Kampf wieder auf, musste aber bald wieder gehen. Der Marathonrundkurs war sehr hügelig, auch nach km 35 ging es hoch. Fethia ging wieder, zwischendurch verbrauchte sie viel Wasser, was ich wohlweislich in Wasserflaschen von den Verpflegungsstellen bei mir trug. Aber es gab auch nur Wasser, mehr nicht. Ich dränge sie zu laufen, weil ich befürchte, dass wir die Zeit von 4.30 h nicht schaffen werden und irgendwie kommt sie wieder in Trab. Aber was ist das??? Ich sehe das Ziel plötzlich vor mir, ist das heute die zweite Fata Morgana? Was ist hier los? Ich schätze, wir sind bei km 36 und nicht bei 42,195 km!

Ich muss durchs Zielband laufen, mach schnell ein paar Fotos . Fethia drückt mich, sie weiß, ohne mich wäre ihr 1. Marathon ein Fiasco geworden (Foto)! Ein deutscher Läufer bestätigt mir durch sein GPS, dass wir erst 36 km gelaufen sind (3.42.51 h), also 6,2 km zu wenig. Ich fasse den wahnsinnigen Entschluss: Ich werde vom Ziel 3,1 km zurücklaufen, eine Wendung machen bei sozusagen 39,1 km, zurücklaufen und dann ein zweites mal im Ziel ankommen.
Dies gedacht und den verdutzten Organisatoren gesagt, laufe ich los.
Ich kämpfe sozusagen gegen den Strom, gegen die Autos, gegen die Abgase, gegen die brütende Sonne und gegen die Wut in meinem Bauch!

Ich lass mir den Marathon nicht nehmen, schon ein Stück verrückt. Jetzt lauf ich noch den langgezogenen Berg wieder rauf, den ich vorhin mit Fethia runtergelaufen bin. Allein gegen alle, so kam ich mir vor. Ganz oben (Foto) drehe ich wieder um. Die Abgase, die Autos, die bringen mich um. Ich bin ja nun wirklich der letzte auf der Marathon-strecke. "Der letzte Mohikaner", das kam mir jetzt in den Sinn. Plötzlich lautes Sirenengeheul. Unglaublich, aber wahr: Zwei Polizeiautos setzen sich hinter mich und blocken so den gesamten Straßenverkehr hinter mir ab. Ich hebe die "Beckerfaust" und nicke dankend ihnen zu. Bis zum Ziel gebe ich Vollgas. Auch rennt mir ja die Zeit davon. Ich rechne hoch, ich werde doch unter 4.30 h ins Ziel kommen.

Ein Dankeschön an meine Polizeieskorte (Foto). Das Ziel ist schon fast abgebaut, wo ich aber nun doch überglücklich hindurchrenne. Für meinen zweiten Zieldurchlauf brauchte ich noch mal 33.59 min, so dass meine Endzeit 4.16.40 h beträgt.

Ich reiße die Arme hoch (Foto). Geschafft! Mein 50. Marathonland und auch 35. Haupt-stadt, wo ich jemals Marathon gelaufen bin, sind Geschichte. Auch Hanno war erfolgreich. Der "alte" Hausdegen belegte über die 5 km Strecke den 8. Platz in 27.49 min bei über 50 Startern. Das mit 69 Jahren, ich ziehe den Hut! Die Reise nach Algier war schon ein Erlebnis! Besonders schön empfand ich, wie herzlich und wärmend wir von dem Veranstalter dieses Event's um Abdel (Foto mit mir links und der Marathonsiegerin Fatma rechts) und Kamel aufgenommen wurden. Und der 4. Algier Marathon klappt bestimmt noch ein Stück besser, da bin ich mir sicher! Auch war die Unterstützung von Wolfgang Hofmann von www.lauftreffreisen.de, der uns die Wogen der Formalitäten für die Einreise nach Algerien glättete, eine große Hilfe.


Meine Durchgangszeiten:

5 km: 25.43 min 25.43
10 km: 22.37 min 48.20
15 km: 20.17 min 1.08.37
20 km: 34.07 min 1.42.44
25 km: 36.48 min 2.19.32
30 km: 32.19 min 2.51.51
35 km: 32.46 min 3.24.37
Ziel (36): 18.14 min 3.42.51 h

Ziel (42,195) 33.59 4.16.50 h

>> Meine Marathonstatistik

 
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