Was
hatte ich mir da bloß überlegt: Tirana
Marathon in einem kleinen "Bergland", der
letzten sozialistischen Bastion? Albanien,
eher wohl nicht, ist heute eine parlamenta-rische Republik. Ich
flog von Berlin über Wien nach Tirana, wo zwischendurch mein
Sportfreund Hanno zu mir stieß.
Der Ausschrei-bung zufolge war die Marathon-Expo auf dem Skanderbeg
Platz mitten im Herzen Tiranas und gleich neben unserem
Hotel. Es
klappte alles perfekt, freundliche junge Mädels gaben uns die
Start-unterlagen (Foto) und
Oriona Fjerza, die hübsche Cheforganisatorin, freute sich über
unsere deutsche Teilnahme. Eine deftige Pizza mit gutem albanischem
Bier aus Korça vollendete den ersten Tag und lies auf Gutes
hoffen
Marathontag:
Gut geschlafen, gefrühstückt und gelaunt gehen Hanno (Foto
rechts) und ich (Foto links)
zum Start auf den Skanderbeg Platz.
Sagenhaft,
dort sind schon viele, besonders junge Menschen und alle in Sportkleidung.
Ich schau mir alles an, mache viele Fotos und, ja wer ist das, ich
treffe Hartmann Stampfer, einen italienischen
Marathonie, der später auch über diesen Lauf berichten
sollte (>> Sein Bericht).
Ich
stehe in der ersten Reihe, plötzlich kommen breitschultrige
Anzugsträger und geleiten einen Herrn an die Startlinie. Es
ist der Ministerpräsident Sali Berisha.
Er geht auf uns zu und drückt unter anderem auch mir die Hand
und wünscht alles Gute für den Lauf. Nun werden viele
Reden gehalten, die Startzeit vergeht und es wird weiter viel geredet.
Plötzlich hat der Ministerpräsident die Startpistole in
der Hand, lässt sich deren Handhabung kurz erklären (Foto)
und da knallt es auch schon. Der Startschuss sollte für alle
Disziplinen einzeln erfolgen. Aber welch ein Unglück, alle
ca. insgesamt 3000 Starter rennen wie die Wahnsinnigen los. Die
5 km Läufer, alles junge Kerle, sprinten an mir vorbei, als
wäre ich ein Statist. Nach 3 km sehe ich viele von Ihnen, die
sich am Straßenrand übergeben
ja, ja, das ist Anfängerpech,
sie rannten eben viel zu schnell los. Die
Streckenführung durch Tirana sollte ein Rundkurs sein, ich
war guter Hoffnung, dass alles klappt. Nach ca. 5 km war es jedoch
mit der Absperrung der Straße vorbei.
Ich sah nur
noch sporadisch einen Läufer vor oder hinter mir, denn ca.
50 Marathonies waren eh nur am Start. Autos über Autos, geschätzt
die meisten höchstens Jahrgang 1990 fuhren an mir vorbei und
ich schluckte nur noch Abgase (Foto).
Es war nicht auszuhalten, mir war so zum "kotzen"!
Ja, ich denke
an Algier zurück (>> mein
Bericht), mein Gott, das war ja ein Kinderspiel dagegen,
schlimmer geht's nicht. Die Autofahrer versuchen mich hier einfach
umzufahren, unglaublich! Die wenigen Kontrollposten, die Helfer
und die eingesetzte Polizei sind machtlos.
Dann
plötzlich eine scharfe Rechtskurve, da sind auch nur wenige
Autos, links ein kleines Flüsschen mit etwas grün drum
herum (Foto) und irgendwie mehr
Sauerstoff in der Luft, herrlich. Nach ca. 40 min war ich an der
10 km Marke. Was, wie, hier? Die Streckenführung konnte nicht
stimmen. Ich denke an Hartmann zurück,
der mir am Start seine mitgenommene Marathon-streckenführung
gezeigt hatte. Hätte ich es mal auch gemacht
egal, noch
hatte ich Elan! Ich fragte die Streckenposten, was denn hier los
wäre, sie wussten von nichts, sie hoben die Hände. Es
war unglaublich. Der eine deutete mir an, nach links weiter zu laufen,
der andere nach rechts, verflucht, was soll ich machen? Ich
rannte irgendwie weiter, einfach nach irgendwo, ein Helfer
sagte mir noch, ich müsste um einen See herumlaufen. Ja um
welchen denn, und wo ist der?
Frage über Fragen, ich sah plötzlich weit vorn einen Läufer.
Ich zog mein Tempo an, derzeit waren kaum Autos um mich herum. Und
wirklich, ich lauf auf ihn auf und jetzt schien die Laufstrecke
wirklich um einen See zu verlaufen (Foto).
Vielleicht
war ich bei km 13, im Nachherein sah ich, dass auf der theoretischen
Streckenführung für die Seeumrundung km 25 bis 30 vorgesehen
waren. Ich sah vereinzelt Läufer, fragte Spaziergänger,
ob ich hier richtig sei, ja, natürlich, alles okay
Na
gut, bin ich jetzt also wieder richtig im Kurs.
Hier
im "Parku i madh"
war tolles Laufen, Bäume, Wasser, gute Luft, Kaffees, junge
Mädchen (Foto), einfach
Spitze. Aber da war es auch schon vorbei. Irgendeiner zeigte mir,
"da musst du weiter laufen" und ich tat es. Ich war wieder
voll in der Stadt, dann ich Zentrum. Das kommt mir doch schon vertraut
vor? Plötzlich waren wieder viele Helfer da. Was, ich traue
meinen Augen nicht, da ist das Ziel!!! Das ist Weltrekord,
ich bin im Ziel in 1:45 h? Ich
sehe die spätere Siegerin, sie irrt auch so herum, auch sie
sollte schon ins Ziel laufen. Was jetzt kommt, ist kaum wiederzugeben
oder zu beschreiben. Die Helfer packten mich an und wollten mich
ins Ziel führen, aber ich riss mich los. Ich sei Marathonläufer
und für die Marathondistanz sei hier noch längst nicht
das Ziel, die Jungs begriffen nicht, was ich wollte. So
eine Scheiße, was soll ich machen?
Ich
fasste einen Entschluss, ich werde einfach laufen, laufen, irgendwo
in Tirana. So lief ich wieder die
Strecke, die ich vom Start weg gelaufen bin, irgendwie erkannte
ich die Straßen wieder. Ich wusste natürlich, dass ich
hier falsch war. Und das verrückte war, ab und zu sah ich mal
einen Läufer, der meinen Weg kreuzte!
Ja, kreuzte,
denn kein Läufer wusste mehr wo er langlaufen sollte. Ich lief
irgendwie weiter, ich kämpfte mich weiter durch die Autokolonnen
hindurch. Bei ca. 1:55 h weiche ich einem von hinten zu dicht aufgefahrenen
Auto aus, fotografiere dieses und in diesem
Moment kracht es auch schon. Ein Auto war rückwärts
gefahren und ich knallte beim wieder vorwärtsschauen voll in
das Auto. Ich spüre keinen Schmerz, nur unendliche Wut. Wut
auf mich, auf die Autos, auf diese verfluchte Streckenführung,
auf die völlig überforderten Helfer, auf alles!
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